Kommentar: Wie viel Solidarität zwischen Staat und Bürger?
27. Dezember 2005Sie kann es nicht lassen: Eben aus dreiwöchiger Geiselhaft freigekommen, erklärt Susanne Osthoff, sie wolle in den Irak zurückkehren. Osthoff, die am 18. Dezember nach drei Wochen Geiselhaft freigekommen war, sagte dem arabischen Sender Al-Dschasira, sie wolle ihre Arbeit als Archäologin im Irak fortsetzen. Ihre Entführer hätten sie gut behandelt, auch weil sie Muslimin sei, sagte Osthoff.
Schwer zu verstehen
Auf Verständnis dürfte die 43-Jährige damit kaum irgendwo stoßen. Nicht bei Freunden und Verwandten, erst recht nicht bei denen, die sich wochenlang für ihre Freilassung eingesetzt hatten. Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier bringt es auf den Punkt, wenn er die Archäologin beschwört, dem Irak fernzubleiben und an die Mühe und Anstrengung zu denken, die ihr Fall vielen bereitet hat. Auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Ruprecht Polenz, erklärte, gerade Osthoff müsse das Risiko einer solchen Entscheidung deutlich vor Augen haben.
Mit einem Schlag steht die Frage im Raum, die derselbe Steinmeier nach der Entführung noch zurückgewiesen hatte und die sich aus politisch-moralischen Gründen auch verbat, solange das Schicksal der Entführten ungewiss war: Inwieweit ist der Staat in der Pflicht, wenn ein Bürger sich - aus welchen Gründen auch immer - über offizielle Warnungen hinwegsetzt und sich in Gefahr begibt?
Kein Freibrief für Abenteurer
Es kann auf diese Frage keine klare Antwort geben: Natürlich hat der Staat eine Verantwortung und eine Fürsorgepflicht für seine Bürger. Ein Bürger muss die Gewissheit haben, dass der Staat ihm im Notfall helfen wird - einerseits. Andererseits muss der Bürger aber auch ein Minimum von Verantwortungsbewusstsein demonstrieren. Und er muss verstehen, dass die Fürsorgepflicht des Staates aus einem Solidaritätsprinzip erwächst, dem beide Seiten verpflichtet sind: Staat und Bürger. Dies ist keine Einbahnstraße - und auch kein Freibrief für Abenteurer oder Einzelgänger.
Gleichzeitig aber kann der Staat auch nicht ab einem bestimmten Punkt seine Verantwortung für einen Bürger ruhen lassen. Er kann sich nicht mit einer Reisewarnung davon freikaufen. Bestenfalls kann er mit wirtschaftlichen Sanktionen drohen. Wie im Fall der entführten Sahara-Touristen, deren Freilassung den deutschen Staat erhebliche Mühe und Summen gekostet hatte. Im Fall Osthoff wäre solch eine Drohung allerdings wirkungslos: Die Frau hat solches Geld nicht. Und sie befand sich nicht zum Spaß im Irak. Sie ist nicht auf den Irak fixiert, um mit dem Geländewagen durch unwegsames Gelände zu kurven, sondern um Not leidenden Menschen zu helfen.
Machtlos gegenüber Besessenen
Das zumindest hat Susanne Osthoff in den letzten Jahren immer wieder getan und hierfür gebührt ihr Lob, Anerkennung und Respekt. Und kein Gebot von Staatsräson dürfte sie an solcher humanitärer Hilfe hindern. Nur: In letzter Zeit geht es Susanne Osthoff ja gar nicht mehr um die Hilfe für Menschen, sondern um die Restaurierung und den Erhalt einer historischen Karawanserei im kurdischen Norden des Landes. So wichtig dieses Anliegen aus kulturhistorischen Gründen auch sein mag: Für so etwas setzt man sein Leben nicht aufs Spiel. Und hierfür kann Osthoff auch nicht die Solidarität des deutschen Staates und seiner Bürger erwarten. Es ist deswegen richtig, dass dieser Staat jetzt jede finanzielle Unterstützung für das Projekt ablehnt.
Gleichwohl gibt es aber kein probates Mittel, Osthoff an der Rückkehr in den Irak zu hindern. Selbstmordgefährdete können in Deutschland zur Not zu ihrem eigenen Schutz in Haft genommen werden. Gegen eine so von ihrer Idee besessene Frau wie Susanne Osthoff ist man letztlich machtlos: Der Staat würde ihr im Falle einer neuerlichen Entführung wieder helfen müssen. Sie gefährdet dadurch aber die Sympathie, die man ihr bisher entgegen brachte. Und damit schadet sie letztlich der Sache, für die sie sich so selbstlos einsetzt.