Grenzpolitik in der Kritik
28. September 2012Von einem Berghang im indischen Bundesstaat Meghalaya aus blickt man auf die großen Weiten Bangladeschs. Die Grenze ist von hier aus gut zu erkennen, denn wie ein endloses Band zieht sich der Grenzzaun durch die Ebene. Nur an wenigen Stellen der über 4000 Kilometer langen Grenze wurde bisher noch kein Zaun errichtet. Denn Indien hat in den letzten Jahren die Sicherheitsvorkehrungen massiv verschärft. Vielerorts hat der Grenzschutz den Befehl, auf illegale Einwanderer aus Bangladesch zu schießen. Der hohe Stacheldrahtzaun macht die Grenze zu einem Todesstreifen. Damit will Indien sowohl den Drogen- und Waffenschmuggel als auch den Menschenhandel unterbinden. Die Lage ist sehr gefährlich, denn Separatisten auf der indischen Seite nutzen das Territorium von Bangladesch auch für ihre Kämpfe.Das Problem ist der unübersichtliche Grenzverlauf. Denn Bangladesch, das ehemalige Ost-Pakistan, wird fast vollständig von Indien umschlossen und grenzt an fünf indische Bundesländer.
Enklaven als Streitpunkt
Die sogenannten "Enklaven" sind der zentrale Streitpunkt zwischen den Nachbarn. Diese Enklaven können kleine Parzellen oder Hügel sein, die politisch zu einem Land gehören, geographisch betrachtet aber im Gebiet des Nachbarlands liegen. Der renommierte Sicherheitsexperte Uday Bhaskar aus New Delhi meint: "Wenn man die Grenze zwischen Indien und Bangladesch betrachtet, sieht man, dass 92 Enklaven, die Bangladesch gehören, geographisch in Indien liegen. 105 Enklaven auf indischem Staatsgebiet liegen geographisch in Bangladesch. Beide Länder haben sich bisher nicht auf eine gemeinsame Politik bezüglich dieser Enklaven geeinigt." Diese Grenzunklarheit schafft Probleme unter anderem für Hirten und Dorfbewohner, die in diesen Enklaven leben und oft aus Versehen die Grenze überqueren. Es gibt aber auch viele illegale Einwanderer, die auf der Suche nach Arbeit nach Indien wollen, weil sie dort auf einen Ausweg aus der Armut hoffen.
Illegale und legale Einwanderer
Das indische Bundesland Assam ist seit jeher ein Hauptziel für Migranten aus Bangladesch, sagt Monjib Mochahari, der am Tata Institute of Social Sciences (TISS) in Mumbai zu den Themenbereichen Medien und Konflikte forscht: "Bangladeschs wirtschaftliche Entwicklung erlebt immer wieder Rückschläge, etwa durch die häufig auftretenden Flutkatastrophen. Und das Land ist überbevölkert. Die Menschen, die dort leben, müssen sich mit wenig Raum zufrieden geben. Assam dagegen bietet viel mehr Platz, weniger Bevölkerung und das Land ist fruchtbar."
In Indien werden alle Einwanderer aus Bangladesch, die nach 1971 eingewandert sind, als Illegale betrachtet. 1971 erlangte Bangladesch die Unabhängigkeit von Pakistan, auch mit indischer Unterstützung. Konflikte brechen aber auch immer wieder mit den Muslimen aus, die schon seit der Teilung Indiens 1947 in indischen Bundesstaaten wie Assam leben, dort arbeiten und eingebürgert sind. Zum einen werden sie von indischen Politikern als wichtige Wählergruppe betrachtet. Zum anderen aber streiten sie sich seit Jahren mit anderen Bevölkerungsgruppen um Land.
Im August 2012 kam es aufgrund dieser ungelösten Konflikte in Assam zu heftigen Unruhen zwischen Einheimischen und alten und neuen Migranten aus Bangladesch. Mehr als 80 Leute starben, Tausende leben immer noch in Flüchtlingsunterkünften. Laut Monjib Mochahari ist die Stimmung noch immer angespannt und die Feindschaft tief verwurzelt.
Hetzjagd im Internet
Doch es ist genau dieses Misstrauen, das es so schwer macht, eine Lösung zu finden. Blogs einheimischer Gruppen aus dem Nordosten Indiens verbreiten Gerüchte über die muslimischen "Bettler aus Bangladesch" und behaupten, dass viele von ihnen dem Terror-Netzwerk Al Kaida nahestünden. Nicht zuletzt deswegen haben sich die Spannungen in Assam inzwischen zum Flächenbrand ausgeweitet. Denn muslimische Gruppen in Indien haben ihrerseits die Unruhen im Nordosten als Krieg gegen die Muslime bezeichnet und gehen lautstark auf die Strasse. Auf Facebook und Twitter wird massiv gegen die ethnischen Nordostinder gehetzt. Es wurde mit Angriffen gegen sie gedroht. In Panik reisten Tausende Nordostinder, die in den großen Metropolen wie Mumbai, Bangalore, Chennai und Hyderabad gewohnt und gearbeitet haben, nach Assam zurück.
Lösungen nicht in Sicht
Aufgrund der anhaltenden Ausschreitungen gerät die indische Regierung zunehmend unter Druck. Der indische Sicherheitsexperte Uday Bhaskar wirft Neu Delhi Versagen vor: "Indien hat diese Probleme seit 60 Jahren", sagt er: "Indien versucht, seine Beziehungen mit den Nachbarländern und damit seinen Einfluss auch über die Grenzen hinaus zu verbessern. Aber die Regierung hat bis jetzt keine Lösung für den ethnischen Konflikt in Assam erarbeitet und keine Klarheit in ihrer Grenzpolitik erzielt." Die Zeit drängt. Denn immer mehr Menschen in Bangladesch werden von Klimawandel und Armut bedroht. Für sie gibt es nur einen Ausweg: nach Indien.