Zum 200. Geburtstag von Mendelssohn
28. Januar 2009Leipzig feiert den 200. Geburtstag von Felix Mendelssohn Bartholdy. Dass seine Kompositionen und sein Wirken in der Stadt wieder ins Bewusstsein gerückt worden sind, ist nicht zuletzt dem Dirigenten und ehemaligen Gewandhauskapellmeister Kurt Masur zu verdanken. DW-WORLD sprach mit dem Dirigenten.
DW-WORLD: Kurt Masur, in Ihrer Zeit vor dem Gewandhaus – Sie waren unter anderem bei Walter Felsenstein an der Komischen Oper – ist Mendelssohn da immer mal ins Blickfeld gerückt oder kam das dann erst?
Kurt Masur: Nein, nein. Ich habe hier studiert, und das kam während meiner Studienzeit. Wir haben ja Tanzmusik gemacht und wir nannten uns "Mendelssohn-Rhythmiker". Das war schon 1947. Das waren fünf Studenten an der Musikhochschule, alles Dirigenten. Aber dann wurde es auf einmal ernster, indem wir ja natürlich begannen, auch die Mendelssohn-Sinfonien zu studieren und auch Dinge kennenzulernen, Lieder, die uns fasziniert haben, wo wir gesagt haben: Verdammt noch mal, wieso wurde das verboten? Warum ist er eigentlich überall immer nur "halb" gefeiert worden? Es gab Länder, in denen er gefeiert wurde, aber nie an die gleiche Stelle gerückt wie Bach, Beethoven und andere Komponisten, die da besonders beliebt waren. Das wollte ich ändern! Es gab keine Tour mit dem Gewandhausorchester, wo ich nicht Mendelssohn mit aufs Programm gesetzt hätte.
In den 70er und 80er Jahren waren Sie ja der einzige Chefdirigent eines Konzertsaals, der regelmäßig Mendelssohn dramaturgisch aufs Programm gesetzt hat. War Ihnen bewusst, dass es ja auch in Westdeutschland niemanden gab, der das so systematisch betrieben hat wie Sie?
Ja natürlich. Schauen Sie, wenn ich die Gelegenheit habe, alles Andere auch zu spielen, dann nehme ich natürlich das, von dem ich das Gefühl habe, es interessiert die Menschen. Und das waren in Westdeutschland und Westeuropa überall andere Dinge.
Sie haben mit Musikwissenschaftlern zusammengearbeitet und einige Entdeckungen gemacht.
Die ganze Entwicklung war dann so, dass ich genau merkte: Verdammt noch mal, dieser Komponist muss doch dieselbe Stellung einnehmen können wie Beethoven. Ich kann zum Beispiel den "Elias" nur vergleichen mit der "Missa Solemnis". Er hat dieselbe innere Kraft, er hat dieselbe Moral, er hat dieselbe Position zu Gott. Denn Mendelssohn war ja nicht Christ im Routinen-Sinne. Sondern er war Christ aus der Überzeugung, dass der Glaube -ganz gleich welche Glaubensrichtung – Menschen zu besseren Menschen macht. Und dass das so überall auf der Welt mit den verschiedenen Religionen ist. Alles, was er geschrieben hat, besonders im oratorischen Bereich, war ja darauf aus, das zu vereinen. Und als er nun die "Erste Walpurgisnacht" von Goethe gewählt hat, das sind ja auch religiöse Auseinandersetzungen, wo er eigentlich sagen wollte: Warum schlagt Ihr Euch? Warum tötet Ihr Euch?
Sie haben nach der politischen Wende im Herbst 1989 Ihr Engagement für Mendelssohn noch ausgeweitet, haben Spenden gesammelt, um vor dem Gewandhaus ein Denkmal zu errichten, weil das alte Mendelssohn-Monument von den Nazis zerstört worden war. Das neue Denkmal steht heute gegenüber dem Bach-Denkmal vor der Leipziger Thomaskirche. Warum dieser Standort?
Das ist ein Beweis dafür, wie dieser Mann versucht hat, die Zusammenhänge zu durchdringen. Wie er die Wirkung der Musik richtig einschätzen konnte. Und wie er sich verantwortlich fühlte, wenn er ein Amt übernahm wie das des Gewandhauskapellmeisters, dass er Einfluss nahm auf die Entwicklung der Menschen und deren Bildung.
Was erwarten Sie vom Mendelssohn-Jahr?
Das Mendelssohn-Jahr wird uns bescheren, dass wir alle sagen können: In Leipzig haben wir jetzt genügend "Mendelssöhne" stehen, als Denkmal. Man kann nicht mehr einfach daran vorbeigehen und sagen "Wer ist denn das?" Sondern man wird schnell erkennen: Donnerwetter, Leipzig ist eine Mendelssohn-Stadt und nicht nur eine Bach-Stadt.