Kurzer "Impfgipfel" in Israel
4. März 2021Warum Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und Israels Premier Benjamin Netanjahu sich - wie dieser Tage üblich - nicht einfach am Bildschirm verabredet haben, gehört zu den kleineren Fragen, die das Dreiertreffen an diesem Donnerstag in Jerusalem aufwirft. Die weitaus größere ist die nach dem Zweck.
Offiziell haben die drei Regierungschefs angekündigt, "einen gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsfonds zu gründen und die Möglichkeit gemeinsamer Anlagen zur Impfstoffproduktion zu prüfen". Netanjahu erklärte bei einer gemeinsamen Pressekonferenz am Donnerstagnachmittag in Jerusalem. dies sei nötig, weil niemand abschätzen könne, wie lang die aktuelle Pandemie noch gehe und wann die nächste - sei es durch COVID-19-Mutationen oder andere Viren - noch auf die Welt zukomme.
Bisher wurde in keinem der drei Länder ein Impfstoff gegen COVID-19 entwickelt. Unter anderem deshalb sehen viele Beobachter hinter dem Vorstoß der Regierungschefs eher politische Motive statt eine Initiative zum künftigen Gesundheitsschutz der jeweiligen Bevölkerung.
Israel wählt in knapp drei Wochen
Premier Netanjahu steht in Israel unter Druck. In drei Wochen wählt das Land ein neues Parlament und laut Umfragen hätte seine Partei Likut keine Mehrheit im Parlament. Ein Grund dafür ist der Korruptionsprozess gegen ihn, aber auch in der Corona-Krise musste er Kritik einstecken.
Umso gelegener kommt es ihm da, wenn zwei ausländische Regierungschefs persönlich anreisen, um ihn für sein Krisenmanagement zu loben: Die Welt sei inspiriert durch den "Impf-Weltmeister" Israel, sagte Dänemarks Premierministerin Mette Frederiksen in Jerusalem.
In Israel sind bereits mehr als ein Drittel der Israelis zweimal geimpft, mehr als die Hälfte hat mindestens eine Dosis erhalten - der höchste Anteil weltweit.
Doch sind Kurz und Frederiksen nach Jerusalem gereist, um sich Tipps für die eigene Impfkampagne zu holen? Die dänische Politologin Marlene Wind* glaubt nicht, dass dies das Hauptanliegen der Visite war: "Ich sehe hier eine ordentliche Portion Populismus, und soweit ich dies in den dänischen Zeitungen lese, bin ich damit nicht allein."
Während es aus dem österreichischem Kanzleramt hieß, Kurz wolle sich in Sachen Impfungen nicht mehr auf die EU verlassen, hatte Frederiksen betont: "Ich betrachte dies nicht als Bruch der europäischen Zusammenarbeit."
Dennoch glaubt Wind, dass es auch Frederiksen darum ging, öffentlichkeitswirksam auf die Kritik an der EU und ihrer Arzneimittel-Agentur EMA aufzuspringen. Der Vorwurf: Die Genehmigungsverfahren der Impfstoffe von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca hätten zu lange gedauert und die bestellte Menge an Impfdosen sei zu klein.
"Mette Frederiksen liebt das Rampenlicht"
Sebastian Kurz hat durchaus Motive, die Schuld für die anhaltende Corona-Krise woanders zu suchen. Kritiker werfen ihm Konzept- und Erfolglosigkeit vor. Zudem stehen Parteifreunde unter Korruptionsverdacht. Da erscheint es opportun, seinen - nach Ansicht von Kommentatoren verblassenden - Ruf als Macher aufzupolieren und Allianzen zu schmieden.
Aber was treibt Mette Frederiksen an? Sie habe sich in der Corona-Krise als Macherin profiliert und damit große Zustimmung in der Bevölkerung geerntet, sagt die Kopenhagener Professorin Wind.
"Presse und Opposition üben harte Kritik an ihr, aber in der Bevölkerung ist sie eine der beliebtesten Premiers der letzten Jahrzehnte." Unter Zugzwang stehe sie also nicht, meint Wind, aber: "Sie liebt es, im Rampenlicht zu stehen - so viel hat die Pandemie allen Dänen gezeigt."
Bei der EU gab man sich über den dänisch-österreichischen Vorstoß, mit Israel zu kooperieren, betont gelassen: Man wäre interessiert, von den drei Länder zu lernen. Einen tieferen Sinn kann Marlene Wind darin jedoch nicht erkennen. Selbst wenn die Länder einen Impfstoff entwickeln und produzieren würden, müsste er durch die EMA genehmigt werden.
Kurz fordert Impfpass
Alleingänge könnten den Kampf gegen die Ausbreitung von COVID-19 sogar erschweren, meint Wind: "Impfstoffe zu verabreichen, die in der EU nicht zugelassen sind, wie Ungarn es tut, gefährdet die EU-Strategie von digitalen Impfpässen."
So hat Ungarn Impfstoffe aus China und Russland zugelassen. Auch die Slowakei hat zwei Millionen Dosen des russischen Vakzins Sputnik V bestellt, und Polen will Impfstoff aus China beziehen. Keiner der Stoffe ist in der EU zugelassen.
Sebastian Kurz hatte selbst kürzlich einen Impfpass für die EU gefordert. "Natürlich kann man EU und EMA kritisieren", betont die Politikwissenschaftlerin, die kürzlich ein Buch über die "Tribalisierung Europas" veröffentlicht hat, "aber hier sieht es nicht aus, als würden Mette Frederiksen und Sebastian Kurz helfen, das System zu verbessern."
*Korrekturhinweis: In einer früheren Version des Artikels wurde die Expertin fälschlicherweise mit Marlene Winter benannt. Wir bitten dies zu entschuldigen.