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Li Peng rechnet ab

22. Juni 2010

Einer der Hauptverantwortlichen des Tiananmen-Massakers legt Zeugnis ab: Mit Spannung erwartete Hongkong die Memoiren Li Pengs. Nun wurde die Veröffentlichung abgesagt. Doch das Manuskript zirkuliert längst im Internet.

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Li Peng bei seiner Abschiedsrede als Ministerpräsident 2003 (Foto: AP)
"1989 entschlossene Maßnahmen ergriffen": Li Peng schreibt seine MemoirenBild: AP

Die Sprache des alten Mannes lässt keinen Zweifel zu: "An der Schwelle vom Frühling zum Sommer des Jahres 1989 haben antikommunistische Anführer einen Aufstand zum Sturz des Sozialismus angezettelt, der sich zu Ausschreitungen in Peking entwickelte", beginnt Li Peng seine Aufzeichnungen. "Das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei und die chinesische Zentralregierung haben entschlossene Maßnahmen ergriffen, um diese Ausschreitungen unter Kontrolle zu bringen." Li Peng, damals Ministerpräsident und einer der Hauptverantwortlichen für die Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens, hat seine Erinnerungen an die Ereignisse nun in Tagebuchform vorgelegt.

Blogger Michael Anti (Foto: DW/Mathias Bölinger)
"Regierung hatte 1989 von Anfang an vor, gewaltsam vorzugehen": Blogger Michael AntiBild: DW

An diesem Dienstag (22.06.2010) hätten sie in Hongkong erscheinen sollen. Der Verleger Bao Pu war damals selbst Student in Peking. Die Ereignisse lassen ihn bis heute nicht los. "Ich habe wie so ziemlich jeder Student in Peking an den Demonstrationen teilgenommen", erzählt er. Und wie jeder Student sei er schockiert gewesen, als die Proteste niedergeschlagen wurden. Wie konnte die Regierung so brutal auf spontane Proteste reagieren? "Ich habe mehrere Jahre gebraucht, bis ich verstanden habe, was wirklich passiert war."

Aufgeregte Diskussionen im Internet

Bao Pu ist der Sohn von Bao Tong, einem der wenigen Regierungsmitglieder, die damals Sympathie für die Studenten empfanden, den Machtkampf gegen die Hardliner aber verloren. Bao Tong steht bis heute unter Hausarrest. Sein Sohn lebt mittlerweile in Hong Kong und hat einen Verlag gegründet, der Materialien zur chinesischen Geschichte veröffentlicht. Im vergangenen Jahr brachte er die Aufzeichnungen des Parteichefs Zhao Ziyang heraus, der bis zum Schluss den Dialog mit den Studenten suchte. Auch er verbrachte den Rest seines Lebens unter Hausarrest. Mit Li Pengs Tagebuch hätte nun die Version des Mannes erscheinen sollen, der zum Gesicht der blutigen Niederschlagung wurde. Zwei Tage vor Erscheinen wurde die Veröffentlichung nun gestoppt. Aus Urheberrechtsgründen, lässt der Verlag mitteilen. Beobachter gehen davon aus, dass Peking erheblichen Druck ausgeübt hat.

Studenten protestieren am 28. Mai 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking gegen Ministerpräsident Li Peng(Foto: AP)
Li Peng wurde zum Gesicht der blutigen Niederschlagung der Proteste auf dem Tiananmen-Platz: Studenten im Mai 1989 mit dem Konterfei des damaligen RegierungschefsBild: AP

Doch die Kontrolle über den Inhalt ist der Regierung längst entglitten. Prompt vor dem Jahretag am 4. Juni dieses Jahres tauchten im Internet Kopien des Tagebuchs auf und verbreiteten sich in Windeseile. Die Bloggerszene diskutiert seit Wochen aufgeregt über das Manuskript. Der Blogger Michael Anti glaubt, dass das Tagebuch einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung leistet. "Das Tagebuch zeigt, dass Partei und Regierung bereits von Anfang an geplant hatten, mit Gewalt vorzugehen", erklärt er. "Die Entscheidung ist nicht erst Ende Mai gefallen, als die Situation ins Chaos abzugleiten drohte. Egal, was die Studenten damals getan haben - es hatte keinen Einfluss mehr. Die Regierung hatte das alles längst beschlossen."

Das Manuskript ist auf das Jahr 2004 datiert. Offenbar hat Li Peng das Tagebuch bereits damals beim Zentralkomitee vorgelegt und um Veröffentlichung gebeten. Das wurde abgelehnt. Der Analyst Mo Zhixu glaubt, dass die Aufzeichnungen echt sind. Er habe das Manuskript in den letzten Jahren immer wieder auf verschiedenen Schreibtischen gesehen, sagt er. "In gewissen Parteikreisen zirkulierten Kopien. Aber der 4. Juni war ein rotes Tuch, der Druck der Regierung war sehr groß und die Strafen hart. Niemand hat sich getraut, den Text nach außen zu tragen." Dass nun genau das geschehen ist, habe wohl verschiedene Gründe. Das Internet und die wirtschaftliche Entwicklung hätten die Gesellschaft offener gemacht. "Das Thema ist nicht mehr so sensibel, vielleicht auch weil das alles nun schon 21 Jahre her ist. Und da hatten einige wohl jetzt den Mut den Text zu verbreiten."

Die Parteiführung bloßgestellt

Mo Zhixu, politischer Analyst (Foto: DW / Mathias Bölinger)
Glaubt, dass die Memoiren echt sind: Analyst Mo ZhixuBild: DW

Das Manuskript liefere wenig neue Fakten, sagt er. Interessant sei aber, dass Li Peng darin ausführlich schildert, wer an den Entscheidungsprozessen beteiligt war und welche Positionen die anderen Politbüromitglieder vertraten. Neben dem Reformer Deng Xiaoping, der damals zwar kein Amt mehr innehatte, aber dennoch unangefochtene Autorität genoss, tauchen auch viele Namen späterer Würdenträger der Volksrepublik auf. Das sei wohl auch der Grund dafür, dass die Regierung der Veröffentlichung nicht zugestimmt hat, glaubt Mo Zhixu. "Wenn Li Peng darstellt, dass nicht er allein so kaltblütig gehandelt hat, sondern die gemeinschaftliche Führung, dann stellt er die anderen bloß. Dann bedeutet das, dass die gesamte Parteispitze aus Männern besteht, die kaltblütig töten lassen."

Es ist ein eigenartiges Werk, geschrieben in offiziösem Parteichinesisch. Der Text soll darstellen, dass die Parteiführung richtig gehandelt hat. Und doch bringe schon allein die Tatsache, dass er dieses Tagebuch veröffentlichen wolle, Li Pengs Selbstzweifel zum Ausdruck, glaubt der Blogger Michael Anti. "Man hat das Gefühl, dass Li Peng sich noch einmal rechtfertigen will, bevor seine Zeit abgelaufen ist. Aber wenn man der Ansicht ist, keinen Fehler gemacht zu haben, warum sollte man dann ein Tagebuch schreiben, um sich zu rechtfertigen?" Und so hat der alte Mann am Ende doch noch einmal das getan, was er selbst und die Pateispitze lange am meisten gefürchtet haben: Er hat eine neue Diskussion über den 4. Juni 1989 angestoßen.

Autor: Mathias Bölinger

Redaktion: Sven Töniges