Mehr Pendler, mehr Staus
3. April 2017Haben Sie es heute Morgen auch gespürt? Es gibt mehr Menschen wie Sie, die sich allmorgendlich durch den Stau quälen und von außerhalb zur Arbeit in die Stadt fahren - und nachmittags den Rückweg zurück ins Grüne antreten.
Eine Auswertung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) in Bonn zeigt: 2015 pendelten bundesweit 60 Prozent aller Arbeitnehmer zum Job in eine andere Gemeinde. Das ist ein Rekordwert. Im Jahr 2000 waren es noch 53 Prozent.
Pendler-Hauptstadt ist München, gefolgt von Frankfurt am Main, Düsseldorf und Stuttgart. In Berlin gibt es, verglichen mit der Jahrtausendwende, inzwischen sogar mehr als doppelt so viele Pendler. In den Büros dieser Großstädte stammen zwei Drittel der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten aus dem Umland. Interessant dabei: Es handelt sich um Städte mit hohen Immobilienpreisen, die viele Arbeitnehmer ins Umland ziehen lassen.
Teure Immobilien in der Innenstadt
Experten machen mehrere Gründe für den Pendler-Boom aus. "Die Leute sind bei der Arbeitsplatzwahl flexibler als bei der Wahl des Wohnorts", sagt Christian Breu, Geschäftsführer des Planungsverbands Äußerer Wirtschaftsraum München, "die Pendlerströme in und aus der Stadt werden deutlich zunehmen."
In den Ballungsräumen entsteht ein größerer Anteil der neuen Arbeitsplätze in den Kernstädten als im Umland. Dazu kommt ein größerer Anteil an Doppelverdienern. Im Interview mit dem Deutschlandfunk nennt der Mobilitätsforscher Stephan Rammler einen Kulturwandel als Grund für den Verkehrswandels.
Wer ein Eigenheim baue, mache das eher in der günstigeren Umgebung "draußen" als im teuren Stadtkern. Das Häuschen im Grünen bedeute aber auch, auf das Auto angewiesen zu sein. Entstanden sei ein "kulturelles Leitbild des Wohnens, das man als Eigenheim-Automobil-Kultur bezeichnen könnte".
Bezahlbares Wohnen in Metropolen fordert zum Beispiel die Gewerkschaft IG BAU, die in den wachsenden Pendlerzahlen auch eine Folge falscher Wohnungspolitik sieht. In Deutschlands Großstädten wird es immer enger. Es gibt nicht nur mehr Pendler - es ziehen auch immer mehr Menschen in die Städte. Paradebeispiel ist München. In den vergangenen dreißig Jahren ist die Bevölkerung dort von 1,2 Millionen auf 1,5 Millionen gewachsen.
"Bremse der Beharrung"
Für den Mobilitätsforscher Stephan Rammler ist auch eine staatliche Subvention an dem Pendler-Boom schuld. Die Pendlerpauschale sei eine "Bremse der Beharrung", sagte er im Deutschlandfunk, die von vielen quasi in die Finanzierung eines neuen Lebensmodells im Grünen eingerechnet werde.
Genauso wie Rammler plädiert auch der Verkehrswissenschaftler Martin Randelhoff im DW-Interview für die Abschaffung der Pauschale: "Die finanziellen Anreize bestärken den Einzelnen darin, lange Pendelwege in Kauf zu nehmen."
Widerspruch kommt vom Mobilitätsforscher Michael Schreckenberg. Mit der Abschaffung der Pendlerpauschale bestrafe man nur Menschen aus den ländlichen Regionen ohne gute Bus- und Bahnanbindungen und leere das Umland und vergrößere die Metropolen, sagte er der DW. Um die hohen Pendler-Zahlen zu senken, müssten der Öffentliche Verkehr attraktiver gemacht werden und die Verkehrsträger besser vernetzt werden.
Gesundheitsrisiko Pendeln
Die vielen Autofahrer in den Innenstädten haben auch Auswirkungen auf die Gesundheit der Stadtbevölkerung. Dort wächst das Asthmarisiko durch den Dieselausstoß. Zwei Drittel der Stickoxide im Verkehr stammten aus Dieselautos, so Greenpeace.
"Die chronischen Stickoxidprobleme deutscher Städte gefährden die Gesundheit von zehntausenden von Stadtbewohnern", erklärt Greenpeace-Verkehrsexperte Daniel Moser der Nachrichtenagentur AFP. Es ist nicht das einzige Gesundheitsproblem, denn Pendler selber sind häufiger genervt als Menschen mit kürzeren Arbeitswegen.
"Die verfügbaren Untersuchungen zeigen, dass die körperliche und psychische Gesundheit der Erwerbstätigen durch das tägliche Pendeln gefährdet werden kann", sagt Simon Pfaff vom Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung in Wiesbaden. "Je länger die Fahrzeit der Erwerbstätigen, desto größer die Belastung, auch weil weniger Zeit zum Regenerieren bleibt."
Alternative Drahtesel?
Mehr Menschen und mehr Autos in den Städten – vielleicht könnte "die Glücksmaschine" ein Ausweg sein, wie der Focus das Fahrrad bezeichnet, dem er seine aktuelle Titelgeschichte widmet. In Mannheim diskutieren in diesen Tagen Experten auf dem 5. Nationalen Fahrradkongress, was das Fahrradfahren leisten kann.
Der Bund will neue Fahrrad-Schnellwege für Berufspendler bauen. Das seien "kleine Fahrradautobahnen", auf denen Pendler "ohne Ampeln und Kreuzungsverkehr" fahren könnten, sagte Verkehrs-Staatssekretär Norbert Barthle der "Rheinischen Post". Die dafür veranschlagten 25 Millionen Euro in diesem Jahr sind dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) zu wenig. "Wir bräuchten das Zehnfache", fordert ADFC-Sprecherin Stephanie Krone.
Dass solche "Fahrradautobahnen" das Pendler-Problem tatsächlich lösen können, glauben Verkehrsforscher nicht. Michael Schreckenberg von der Uni Duisburg-Essen sagte im Interview der Neuen Osnabrücker Zeitung: " Es ist meiner Ansicht ein totaler Irrglaube, dass man auf diese Weise den Verkehr entzerren kann. Wer fährt bei Sturm und Regen mit dem Fahrrad?" Solche Bike-Highways seien "nice to have", aber eher für den Freizeitverkehr geeignet, so Schreckenberg im DW-Interview. Wichtiger seien die Innenstadtanbindungen der Radschnellwege - diese fehlten jedoch.