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Mehr Schutz für das höchste deutsche Gericht

Volker Witting | Ben Knight
19. Dezember 2024

Bundesrat und Bundestag wollen das Bundesverfassungsgericht besser vor politischer Einflussnahme schützen. Erfahrungen aus Polen und Ungarn trugen maßgeblich zu dieser Reform bei.

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Deutschland Karlsruhe 2024 | Bundesverfassungsgericht Urteil über AfD-Klage
Die obersten Verfassungshüter in Karlsruhe werden gestärkt, ArchivbildBild: Uwe Anspach/dpa/picture alliance

Deutschland nach dem Zusammenbruch der Regierung im politischen Stillstand? Nicht ganz. Kurz vor Weihnachten haben Bundesrat und Bundestag das höchste deutsche Gericht, das Bundesverfassungsgericht, gestärkt. Der Bundesrat - die Länderkammer - stimmte am Freitag (20.12.) mit Zwei-Drittel-Mehrheit für die Reform. Der SPD-Bürgermeister von Bremen, Andreas Bovenschulte, erklärte im Bundesrat: "Wir stellen unser höchstes Gericht wetterfest auf."

Bereits einen Tag zuvor hatte der Bundestag das Gesetz ebenfalls mit der erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit beschlossen. 600 Abgeordnete stimmten für die Reform, 69 dagegen. Das Grundgesetz, die Verfassung, kann nun entsprechend geändert werden.

Es sei ein Gesetz gegen die "Erzfeinde der Demokratie", erklärte SPD-Innenministerin Nancy Faeser am Donnerstag im Bundestag. Sie sagte es zwar nicht, aber gemeint war vor allem die Partei AfD. Sie liegt derzeit in Umfragen um die 18 Prozentpunkte und wird vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet.

Bundestag Rede Innenministerin Nancy Faeser, Frau in dunklem Jackett steht an Rednerpult im Bundestag
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte die Reform maßgeblich vorangetriebenBild: Kay Nietfeld/dpa/picture alliance

Auch die systematische Entmachtung von Verfassungsgerichten im Ausland – wie zum Beispiel in Polen oder Ungarn - hatte die deutschen Politiker beunruhigt und zum Handeln bewegt. Wenn Autokraten an die Macht kämen, machten sich diese meist gleich daran, den Rechtsstaat zu "entkernen", sagte Innenministerin Faeser. Justizminister Volker Wissing sagte in Bezug auf die Stellung von Verfassungsgerichten: "Schnell werden sie zur Zielscheibe der Politik, wenn kritische Richter unliebsame Urteile sprechen."

Bundesverfassungsgericht als Grundpfeiler der Demokratie

Das Bundesverfassungsgericht wurde 1951 gegründet. Das höchste deutsche Gericht hat seinen Sitz in Karlsruhe. Es ist in jeder Hinsicht unabhängig, hat immer wieder politische Entscheidungen zu Fall gebracht. Teile seiner Struktur und Aufgaben sind im Grundgesetz festgelegt. Doch vieles war bislang nicht eindeutig in der Verfassung geregelt. Befürchtet wurde, dass extreme Parteien in Zukunft versuchen könnten, politisch Einfluss auf das Gericht zu nehmen. Mit einer einfachen Mehrheit im Parlament könnten sie das Bundesverfassungsgerichtsgesetz ändern und so womöglich grundlegende Strukturen abschaffen oder umbauen. Dem ist nun ein Riegel vorgeschoben.

Die Reform – wie das Grundgesetz geändert werden soll

Die Aufteilung des Gerichts in zwei Senate von je acht Richterinnen und Richtern soll zukünftig im Grundgesetz verankert werden. Ebenfalls festgeschrieben werden soll die maximale Amtszeit der Richter und eine Altersgrenze von 68 Jahren. Mit der Verankerung im Grundgesetz können die Strukturen des Gerichts nicht wie bisher mit einer einfachen Mehrheit im Bundestag geändert werden. Künftig ginge das nur mit einer Zweidrittel-Mehrheit im Bundestag und Bundesrat.

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Auch die Richterwahl soll reformiert werden: Bereits im Grundgesetz festgelegt ist, dass die Richterinnen und Richter je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt werden. Hier soll eine sogenannte Öffnungsklausel eingefügt werden: Wenn es eines der Parlamente nicht schafft, eine vakante Richterstelle rechtzeitig neu zu besetzen, soll das jeweils andere Organ – also Bundestag- oder Rat - das Wahlrecht ausüben können. So soll ausgeschlossen werden, dass in Teilen extremistische Parteien wie die AfD bei komplizierten Mehrheitsverhältnissen im Parlament Entscheidungen dauerhaft blockieren können.

Negativbeispiele Polen und Ungarn

Beispiel Polen. Die von 2015 bis 2023 regierende nationalkonservative PiS-Regierung hatte nach ihrem Amtsantritt aufgrund ihrer absoluten Mehrheit im polnischen Parlament, Sejm, das Justizwesen umgebaut. Ein erster Schritt war die Nichtanerkennung dreier vor ihrer Machtübernahme ernannter Verfassungsrichter und die Besetzung der Posten mit eigenen Kandidaten.

Das löste Massenproteste aus. Trotzdem schuf die PiS-Regierung 2019 auch eine neue Kammer des Verfassungsgerichts, die sogenannte Disziplinarkammer. Zudem änderte die Regierung das Gesetz so, dass sie den Präsidenten des Verfassungsgerichts ernennen und entlassen konnte. Der Europäische Gerichtshof urteilte 2019, dass die Reform europäischem Recht widerspreche und die Unabhängigkeit der Justiz untergrabe. Ähnlich war es in Ungarn. Reformen der Fidesz-Partei 2013 wurden international kritisiert, sie schwächten die Gewaltenteilung zwischen Gesetzgebung und Justiz.

Auch Anwaltverein fordert mehr Schutz für Justiz

Ulrich Karpenstein, Vizepräsident des Deutschen Anwaltvereins und ein führender deutscher Verfassungsrechtler, begrüßte vor einigen Wochen die geplanten Gesetzesänderungen. Er schrieb der DW: "Wichtig ist, dass künftige Änderungen des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes und insbesondere die Quoren für Richterwahlen und Bundesverfassungsgerichts-Entscheidungen nicht länger mit einer einfachen Mehrheit des Bundestages abgeändert werden können", urteilt Karpenstein.

Ausarbeitung des Grundgesetzes vor 75 Jahren in Bonn; historisches Foto. Männer und Frauen sitzen in einer Halle an Tischen und haben Unterlagen vor sich.
Der Parlamentarische Rat erarbeitete vor rund 75 Jahren in Bonn das GrundgesetzBild: Erna Wagner-Hehmke/Haus der Geschichte/dpa/picture alliance

Innenministerin Faeser streicht im Bundestag noch eine Besonderheit heraus. Die Änderung des Grundgesetzes und Stärkung des Gerichts komme genau im 75. Jubiläumsjahr des Bestehens der Verfassung; also des Grundgesetzes. Dieses habe für viele Länder auf der ganzen Welt eine besondere "Vorbildfunktion". Der Rechtsstaat sei eine "Bastion der Demokratie". 

Volker Witting
Volker Witting Politischer Korrespondent für DW-TV und Online