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PolitikEuropa

Umdenken - Steinmeier endlich in Kiew

Autor und Kolumnist der ukrainischen Redaktion der Deutschen Welle Eugen Theise
Eugen Theise
25. Oktober 2022

Zum ersten Mal seit dem russischen Überfall auf die Ukraine am 24. Februar besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier Kiew. Ein Besuch, der ein wichtiges Zeichen zum richtigen Zeitpunkt setzt, meint Eugen Theise.

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Frank-Walter Steinmeier gemeinsam mit Zivilisten aus Korjukiwka im Luftschutzbunker, auf Stühlen sitzend
Anschaulicher ging es kaum: Der Bundespräsident (Mitte) musste aufgrund von Luftalarm einen Schutzbunker aufsuchenBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Hochrangige Solidaritätsbesuche in Kiew sind - allem russischen Raketenbeschuss zum Trotz - inzwischen längst Routine. So waren beispielsweise die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock und der polnische Präsident Andrzej Duda seit dem Angriff am 24. Februar bereits zwei Mal da, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sogar drei Mal.

Dennoch ist der Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeiervon  besonderer Bedeutung. Es ist es ein längst überfälliges Signal, dass alle Verstimmungen zwischen Kiew und Berlin ausgeräumt sind. Diese gipfelten im April in einer demütigenden Ausladung Steinmeiers durch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, als das deutsche Staatsoberhaupt schon auf dem Weg in die ukrainische Hauptstadt war, um zusammen mit seinem polnischen Amtskollegen Duda und drei weiteren Präsidenten ein starkes Zeichen der Solidarität zu setzen.

Perfektes Timing

Noch wichtiger war der Zeitpunkt des Besuchs aus Berlin. Denn parallel fand in der deutschen Hauptstadt eine internationale Konferenz zum Wiederaufbau der Ukraine statt. Bundeskanzler Olaf Scholz forderte dort einen Marshall-Plan für die Ukraine. Der Wiederaufbau, so Scholz, sei "eine Generationenaufgabe, mit der man jetzt beginnen müsse".

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Eugen Theise, Redakteur im Team von DW UkrainischBild: Privat

Aus eigener Geschichte weiß man in Deutschland um die Rolle internationaler Unterstützung beim Wiederaufbau für eine Zukunft im Wohlstand und Demokratie. Wenn es in einem Post-Brexit-Europa, in Zeiten der Orbans und italienischen Postfaschisten, für Deutschland eine Chance gibt, glaubwürdig eine Führungsrolle zu übernehmen, dann ist es diese. Dass Deutschland vorangeht, wenn Demokraten gemeinsam aufbauen, was ein Diktator und seine Gehilfen in ihrem Hass gegen die Freiheit zerstörten, kann auch der europäischen Idee der Integration in Frieden und Freiheit einen neuen Impuls verschaffen.

Damit Deutschland aber nicht allein als Zahlmeister, sondern als die tatsächlich treibende Kraft Europas gesehen wird, muss es Vertrauen zurückgewinnen. Nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Polen und in den Baltischen Staaten. Vertrauen, dass Berlin Freiheit und Sicherheit nie wieder für billiges Gas aufs Spiel setzen wird. Dass Deutschland Sicherheit für das freie Europa notfalls auch gegen ein autoritäres Russland denkt. Und dass es nach acht Monaten russischer Kriegsverbrechen endlich bereit ist, das sozialdemokratische Mantra vom "Frieden in Europa nur mit Russland" abzulegen.

Um Vertrauen bemüht

Genau um dieses Vertrauen war Frank-Walter-Steinmeier in Kiew bemüht. Nicht nur weitere wirtschaftliche und politische, sondern auch militärische Unterstützung sicherte der Bundespräsident in Kiew zu. Alles andere als selbstverständlich für einen Politiker, dessen Name bei den Ukrainerinnen und Ukrainern geradezu als Synonym für Beschwichtigung gilt. Einer, der jahrelang glaubte, dass die Abhängigkeit von russischem Gas friedensstiftend sei. Und dass der Konflikt im Donbass durch eine diplomatische Lösung mit Russland gelöst werden könne. Der sogar nach der Krim-Annexion noch an den Traum von Sicherheit und Frieden "von Vancouver bis Wladiwostok" glaubte.

Frank-Walter Steinmeier hatte die Größe, seine Irrtümer einzugestehen. Nun war er als Freund in Kiew, und die deutsch-ukrainischen Beziehungen erfahren eine längst überfällige Normalisierung. Es ist höchste Zeit, die emotionalen Verstimmungen abzuhaken. Alles andere würde den enormen Anstrengungen Deutschlands zur Hilfe für die Ukraine nicht gerecht: Das Land hat nicht nur eine Million ukrainische Schutzsuchende aufgenommen, Berlin liefert nach Anlaufschwierigkeiten inzwischen auch wichtige Waffensysteme für den Kampf gegen die russischen Invasoren und will jetzt die Führungsrolle beim Wiederaufbau übernehmen.

Konsequentes Umdenken in der SPD?

Wichtig ist aber, dass das Umdenken in Berlin konsequent bleibt. Schließlich ist ein vollständiger Wiederbau der Ukraine nur möglich, wenn die russische Invasion endgültig abgewehrt ist. Vor diesem Hintergrund forderten kürzlich Außenministerin Annalena Baerbock und Verteidigungsministerin Christine Lambrecht eine Verdreifachung des Etats für militärische Hilfe. Wie weit der Sinneswandel in der SPD reicht, den der Bundespräsident in Kiew vorgelebt hat, wird sich aber daran messen lassen, wie sich Bundeskanzler Scholz zum Vorstoß der beiden Ministerinnen verhält.