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Mordorgien in El Salvador

Gabriel González Zorrilla
30. März 2022

Präsident Nayib Bukele verkündet wegen der großen Zahl von Morden einen Ausnahmezustand für 30 Tage. Kritiker warnen vor der Gefahr eines zunehmenden Autoritarismus in dem zentralamerikanischen Land.

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El Salvador | Polizei in El Salvador
Polizei sichert ein Viertel in der Hauptstadt San SalvadorBild: Salvador Melendez/AP/picture alliance

Die Zahl, die das Ausmaß der Probleme in El Salvador verdeutlicht, vermeldeten die Behörden am Wochenende: 62 Morde im Land gab es alleine am vergangenen Samstag. Um diese Zahl in Relation zu setzen: El Salvador ist kaum größer als das Bundesland Hessen und hat mit 6,5 Millionen Einwohnern eine Bevölkerung, die der von Washington DC entspricht. In Deutschland liegt die Mordrate bei etwa 0,3 Morden pro 100.000 Einwohnern, in El Salvador lag dieser Wert für das Jahr 2021 nach Regierungsangaben bei 20 Morden pro 100.000 Einwohner. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr 1140 Mordopfer.

Weltweit höchste Mordrate

Nach der Eskalation am Wochenende hat Präsident Nayib Bukele eine Kurswende vollzogen. Per Tweet forderte er das Parlament auf, unverzüglich den nationalen Notstand auszurufen. In einer Eilsitzung kam das von der Regierungspartei dominierte Parlament dem nach und genehmigte einen 30-tägigen Ausnahmezustand, der bestimmte in der Verfassung garantierte Freiheiten aussetzt. Dazu zählen zum Beispiel die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit und das Verbot der Überwachung des Telekommunikationsverkehrs.

Noch im November 2021 hatte Präsident Bukele behauptet, er habe die Gewalt in seinem Land erfolgreich bekämpft: "Wir waren einmal das gewalttätigste Land der Welt, und jetzt sind wir nicht mehr in der Nähe dieser Zahlen. Wir sind nicht einmal unter den Top 10", behauptete er damals.

El Salvador La Libertad |  Präsident Nayib Bukele
Umstrittener Staatspräsident: Nayib Bukele während einer Pressekonferenz im Februar 2022Bild: Alex Pena/AA/picture alliance

El Salvador hatte vor wenigen Jahren die höchste Mordrate der Welt. Im Jahr 2015 lag diese bei 103 Morden pro 100.000 Einwohner. Danach begann die Zahl zu sinken, aber der stärkste Rückgang trat ab 2019 ein, als Bukele im Juni die Präsidentschaft übernahm. War er bei der Verbrechensbekämpfung wirklich so erfolgreich? Und warum hat die Gewalt in diesem Jahr plötzlich so stark zugenommen?

Pakt der Regierung mit kriminellen Banden?

"Es gibt die begründete Vermutung, dass Bukele, wie auch andere Präsidenten vor ihm, einen inoffiziellen Pakt mit den Banden im Land geschlossen hatte und dies der Grund für den Rückgang der Gewalt gewesen ist", sagt Sabine Kurtenbach vom Hamburger GIGA-Institut für Lateinamerika-Studien im Gespräch mit der DW. 

Tatsächlich hatte das renommierte Online-Medium "El Faro" im September 2020 nach einer aufwendigen Recherche dargelegt, dass die Regierung von Nayib Bukele mit den beiden mächtigsten kriminellen Banden des Landes eine Vereinbarung geschlossen hatte. Im Gegenzug für eine Verringerung der Mordrate im Vorfeld der Parlamentswahlen 2021 sollen Vergünstigungen für inhaftierte Bandenmitglieder und andere Versprechen ausgehandelt worden sein. Die Wahlen hat das Regierungslager mit großem Abstand gewonnen. 

El Salvador | Insassen im Gefängnis
Demütigung von Häftlingen: Aufnahme aus einem Gefängnis in QuezaltepequeBild: Salvador Melendez/AP/picture alliance

Auch Günter Maihold, Lateinamerikaexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP), vermutet, dass diese Übereinkunft von den "Mörderbanden" aufgekündigt wurde und diese für die neue Gewalteskalation in El Salvador verantwortlich sind: "Die Banden fordern jetzt den Präsidenten direkt mit Angriffen auf die Bevölkerung heraus, um Unsicherheit und Chaos zu verbreiten", erklärt Maihold im Gespräch mit DW. 

Die Macht der Banden in El Salvador

In El Salvador gibt es Schätzungen zufolge rund 70.000 Bandenmitglieder. Entstanden sind die Banden nach dem Ende eines grausamen zwölfjährigen Bürgerkrieges (1980-1992) und als Folge von Abschiebungen krimineller Gangmitglieder aus den USA. Die beiden bekanntesten und verfeindeten Banden sind die "Mara Salvatrucha" (MS-13) und die "Mara Barrio 18". 

Cristian Ambrosius vom Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin hält sich gerade in El Salvador auf und beschreibt im Gespräch mit der DW die Brutalität der sogenannten "Maras": "Eines der Opfer wurde in der Hauptstadt auf einer neu gebauten Brücke, einem Prestigeobjekt von Präsident Bukele, abgelegt. Das wurde als klares Signal an Bukele und an die Touristen gedeutet. Die Gewalt wird als Druckmittel gegen die Regierung verwendet, die gerade versucht, El Salvador als cooles Bitcoin-Land mit tollen Stränden zu verkaufen", so Ambrosius. 

Gefährlicher autoritärer Stil 

Präsident Bukele ist seit seinem überraschenden Außenseiter-Wahlsieg 2019 höchst umstritten. Für die einen ist er ein Heilsbringer, für die anderen ein prinzipienloser Populist. Sein zunehmend autoritärer Regierungsstil weckt in der Zivilgesellschaft des Landes große Befürchtungen. 

Als Reaktion auf die Enthüllungen des Mediums "El Faro" genehmigte er den Einsatz von tödlicher Gewalt gegen die "Maras" und einer Reihe repressiver Maßnahmen in den Gefängnissen. 

Tätowierte Mitglieder der Banden MS-13 und Barrio 18 sitzen in El Salvador auf dem Boden
Tätowierte Mitglieder der Banden MS-13 und Barrio 18 sitzen dicht an dicht auf dem BodenBild: Víctor Peña/dpa/picture alliance

Tausende von tätowierten Häftlingen wurden mit kahl geschorenen Köpfen gezeigt, die in demütigender Weise aufgestapelt waren und in Unterwäsche herumliefen. Eine weitere Maßnahme bestand darin, Häftlinge aus verschiedenen Banden in den Gefängniszellen zu mischen. Gerade diese Demütigung soll zum endgültigen Bruch der geheimen Vereinbarung zwischen Regierung und den "Maras" geführt haben.

"In El Salvador gab es nie eine Antwort und einen Versuch, die Gründe und tieferliegenden strukturellen Ursachen von Gewalt anzugehen", meint Christian Ambrosius. Dem stimmt auch Sabine Kurtenbach zu: "Solange wir in diesen Ländern nicht strukturell dafür sorgen, dass junge Menschen und marginalisierte Gruppen eine Lebensmöglichkeit jenseits der Kriminalität haben und jenseits der Gewalt, solange wird die Gewalt weitergehen."