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Politik

Neuer Einsatz gegen Antiziganismus

28. März 2019

Vorurteile gegen Sinti und Roma sind in Deutschland weit verbreitet. Um dies zu ändern, arbeitet eine Kommission für die Bundesregierung Handlungsempfehlungen aus. Doch der Kampf gegen Antiziganismus ist zäh.

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Demonstration gegen Sinti-und-Roma-Feindlichkeit in Berlin (2013)
Demonstration gegen Sinti-und-Roma-Feindlichkeit in Berlin (2013)Bild: picture-alliance/dpa

Sinti und Roma sind in Deutschland bereits seit Hunderten Jahren beheimatet. Dennoch werden sie bis heute oftmals nicht als Teil der Gesellschaft wahrgenommen, erfahren auf vielen Ebenen Diskriminierung und Ausgrenzung. Mit dieser Problematik beschäftigt sich die von der Bundesregierung eingesetzte Kommission Antiziganismus. Die elfköpfige Expertengruppe hat Ende März ihre Arbeit aufgenommen. Bis spätestens Anfang 2021 soll sie einen Bericht mit Handlungsempfehlungen liefern, um Rassismus entgegenzuwirken, der sich gegen Roma, Sinti, Fahrende, Jenische und andere Personen richtet, die als "Zigeuner" stigmatisiert werden. 

Ein Mitglied der Kommission ist Frank Reuter von der Forschungsstelle Antiziganismus an der Universität Heidelberg: "Sowohl gesamtgesellschaftlich als auch in der Wissenschaft wurde das Thema lange vernachlässigt", sagt der Historiker. Allein bis der Völkermord der Nationalsozialisten an den Sinti und Roma offiziell als solcher anerkannt wurde, habe es Jahrzehnte gedauert. "Sie hatten anders als beispielsweise die Juden einfach niemanden, der sich für sie starkmacht."

Reuter hat vor seiner jetzigen Tätigkeit lange am Dokumentationszentrum Sinti und Roma in Heidelberg gearbeitet. Die intensiven Begegnungen und Gespräche, die er dort mit Überlebenden des Völkermords hatte, sind einer der Hauptgründe, warum er sich in der Expertenkommission engagiert: "Diese Arbeit war sowohl wissenschaftlich als auch menschlich sehr einprägsam und hat mir vor Augen geführt, welche verheerenden Folgen Antiziganismus haben kann."

"Der Alltagsrassismus ist sehr frustrierend"

Unter den Experten im Gremium seien auch Angehörige der Sinti und Roma selbst, berichtet Reuter. Eine Information, die in der offiziellen Presseerklärung des Bundesinnenministeriums zur Gründung der Kommission Antiziganismus nicht auftaucht. Dieser Punkt sei aber nicht unerheblich, findet die Buchautorin Bluma Meinhardt: "Ich begrüße die Initiative der Bundesregierung, aber bitte, bitte redet nicht nur über uns, sondern auch mit uns."

Die 57-jährige Sinteza stammt aus Wuppertal, lebt jedoch schon lange in den Niederlanden, wo sie sich als Angehörige der Sinti und Roma deutlich weniger diskriminiert fühlt: "Wenn ich in Deutschland in den Supermarkt gehe, bemerke ich die misstrauischen Blicke nach dem Motto 'Klaut sie?'. Dieser Alltagsrassismus ist sehr frustrierend und wohl auch ein Grund, warum sich viele isolieren."

Ein weiteres Beispiel für die Diskriminierung von Roma und Sinti ist der Fall einer wohnungssuchenden Sinteza, über den mehrere Medien kürzlich berichteten. Demnach wurde die Frau aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit von einer Wohnungsbaugesellschaft als Anwärterin abgelehnt, wie aus einem internen Vermerk des Unternehmens hervorgeht: "Leichter Zigeunereinschlag; besser nichts anbieten!"

Auf das Bild der Armutsmigranten reduziert

Das Zerrbild über Sinti und Roma, das sich über Jahrzehnte in den Köpfen der Mehrheitsgesellschaft festgesetzt hat, lautet: Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität. Eine deutschlandweite Studie von 2018 zeigt, dass derartige Vorurteile weit verbreitet sind. So stimmen beispielsweise mehr als 60 Prozent der rund 2500 Befragten der Aussage zu, Sinti und Roma würden "zur Kriminalität neigen".

Infografik Antiziganismus Deutschland 2018 DE

Dabei tut das Klischee vom Leben in prekären Verhältnissen Sinti und Roma gleich zweifach unrecht. Zum einen schwingt dabei oft der Gedanke mit, dass die betreffenden Personen an ihrer Situation selbst schuld sind. Dabei ist die Lage, in der sich viele Sinti und Roma heute befinden, ja gerade auch eine Folge ihrer Chancenlosigkeit und Diskriminierung.

So erzählt Bluma Meinhardt beispielsweise, ihr Vater habe als Sinto nicht zur Schule gehen dürfen und sei folglich nie alphabetisiert worden. Deshalb habe er es - als ehemaliger Insasse mehrerer Konzentrationslager - nach dem Zweiten Weltkrieg auch lange nicht geschafft, Entschädigungszahlungen geltend zu machen - abgesehen von allen anderen Problemen, die ein Leben als Analphabet und traumatisierter Mensch mit sich bringt.

Kommission hat Mammutaufgabe vor sich

Antiziganismusforscher Frank Reuter
Kommissionsmitglied Reuter: "Verheerende Folgen"Bild: privat

Zum anderen leben längst nicht alle Sinti und Roma so, wie es oft dargestellt wird. "Es gibt in Deutschland so unterschiedliche Gruppen von Sinti und Roma, sowohl unter den Alteingesessenen als auch unter den Zugewanderten. Man kann da keineswegs von einer homogenen Lebensrealität sprechen", so Kommissionsmitglied Reuter. "Wenn eine Bankangestellte oder eine Beamtin an Ihnen vorbeigeht, würden sie niemals denken, die Person könnte eine Sinteza oder Romni sein. Sie ist es aber vielleicht - und behält aus guten Gründen ihre Identität für sich."

Trotz aller Verbesserungen der letzten Jahre gibt es dem Heidelberger Historiker zufolge immer noch eine wirkungsmächtige antiziganistische Vorurteilsstruktur, die nicht nur in den Köpfen der Einzelnen, sondern auch im institutionellen Handeln verankert ist. Diese zu analysieren und dann Maßnahmen - etwa im Bereich Bildung - herauszuarbeiten, um sie aufzubrechen, das ist die Mammutaufgabe der Kommission Antiziganismus. 

Dass die Bundesregierung das Expertengremium zu diesem Zweck eingesetzt hat, zeigt aus Sicht von Frank Reuter, dass die Politik das Thema mittlerweile ernst nimmt: "Innenminister Seehofer hat in aller Klarheit zum Ausdruck gebracht, dass wir diesen Bericht nicht für den Papierkorb schreiben, sondern dass er in politisches Handeln münden soll."

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DW Fact Checking-Team | Ines Eisele
Ines Eisele Faktencheckerin, Redakteurin und AutorinInesEis