Obst und Gemüse im Überfluss
14. August 2014Rote Tomaten und gelber Chicorée liegen in Kisten, die bis zum Rand gefüllt sind. Emsig verpacken Frauen und Männer die Lebensmittel in kleine Beutel. "Wir haben auf einmal 32 Kisten Tomaten und frischen Chicorée von bester Qualität bekommen", erzählt Joke Cats einem Korrespondenten des Westdeutschen Rundfunks. Sie ist eine ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der gemeinnützigen Einrichtung "Voedselbank" in Maassluis. Dort verteilt sie Lebensmittel an hilfsbedürftige Menschen und Familien. Einmal die Woche hat die Tafel geöffnet und genau an diesem Tag stand die großzügige Spende vor der Tür. "Wir konnten das frische Gemüse zum Glück gleich weiterleiten", so Cats.
Nicht nur die niederländischen Landwirte müssen ihre reifen Obst- und Gemüseernten schnellstmöglich verkaufen. Doch ihre landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die bisher nach Russland exportiert worden sind, können die Hersteller nicht ohne Folgen in den Handel geben. Das heimische Überangebot würde zu einem drastischen Preisverfall führen. Damit das nicht passiert, müssten die Produkte eigentlich vernichtet werden. "Wir müssen gemeinsam mit den anderen Ländern besprechen, ob so ein Schritt vernünftig ist", sagt die Staatssekretärin im niederländischen Wirtschaftsministerium, Sharon Dijksma. "Jeder Eingriff in den Markt hat Konsequenzen, so dass wir abwägen müssen, was am klügsten ist."
Einfuhrstopp trifft Landwirte in der ganzen EU
Griechenland steht wegen der europäischen Wirtschaftskrise besonders unter finanziellem Druck. Russland importiert die Hälfte der griechischen Steinobsternte. Ein großer Exportausfall während der Sommermonate hätte fatale Folgen. Die griechische Regierung in Athen hat deshalb Hilfe angekündigt: Sie will die Erzeuger und Exporteure von Pfirsichen und Nektarien entschädigen, sagt der Regierungssprecher Vultepsi Sofia dem privaten Fernsehsender "Mega".
Die Preise seien schlecht, die Betriebe stünden unter Druck, so dass ihre Zukunft sogar auf dem Spiel stehe, berichtet Maria Sauer vom Ost-Österreichischen Bauernbund. "Die Verunsicherung der Produzenten der Landwirte hier ist sehr groß. Es geht für die österreichischen Bauern um 240 Millionen Euro im Jahr", sagt sie im Interview mit der Deutschen Welle.
Österreich versuche derzeit, weitere Drittstaaten für den Absatz von Obst und Milch zu gewinnen. Das Purzeln der Preise sei zwar für den Verbraucher gut, langfristig würden die Hersteller darunter bankrott gehen. "Die Bauern müssen schauen, wie sie ihre Betriebe zukünftig auch bewirtschaften können. Und diese Einkommenseinbußen müssen sie kompensieren", so Maria Sauer.
EU-Kommission bietet Hilfe an
Doch Hilfe aus Brüssel naht. Die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Noch sei es früh, Rückschlüsse auf mögliche Auswirkungen des russischen Lebensmittelembargos zu ziehen, teilte ein Sprecher der EU-Kommission am Donnerstag (13.8.2014) mit. Wichtig sei vor allem, schnelle Lösungen für die Vermarkung der verderblichen Saisonwaren zu finden, beispielsweise alternative Absatzmärkte zu generieren und die Landwirte zu unterstützen.
Am Montag (11.8.2014) hatte bereits Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos gesagt, dass er sich für eine Verknappung des Angebots und eine Stärkung der Nachfrage einsetzen möchte. Dabei sprach er vor allem von Pfirsichen und Nektarinen, da diese aktuell geerntet werden. Die wichtigsten EU-Anbauländer für Pfirsiche und Nektarinen sind Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland. Jährlich kommen in der EU rund 2,5 Millionen Tonnen Pfirsiche und 1,2 Millionen Tonnen Nektarinen zusammen.
Europäer helfen sich selbst
Maria Sauer vom Ost-Österreichischen Bauernbund appelliert in dieser prekären Situation an die Verantwortung der großen Handelsketten: "Der Lebensmittelhandel kann in Österreich auf regionale Produkte umstellen und auf weniger Importe setzen. Es bestehen zwar langfristige Lieferverträge mit den Herstellern, wenn aber heimische Produkte im Regal liegen, dann greifen die Konsumenten auch zu."
Damit das Bewusstsein der Verbraucher geschärft wird, laufen derzeit in vielen europäischen Ländern Werbekampagnen. Sie sollen den Verbrauchern die heimischen Produkte wieder schmackhaft machen. Polen, als der größte Apfel-Exporteur in der EU, dessen Äpfel hauptsächlich nach Russland gingen, greift da zu außergewöhnlichen Mitteln. Unter dem Motto: "An apple a day keeps Putin away" bekunden Polen mit einem Foto, auf dem sie in einen Apfel beißen, ihre Solidarität mit den heimischen Landwirten. Diese Fotos werden auf Twitter unter #Jedzjablka, auf Deutsch "iss Äpfel", gepostet und geteilt. Auch der polnische Innenminister Bartlomiej Sienkiewicz postet ein Selfie.
Die Werbekampagne Polens läuft nicht nur national. Auch die litauischen Nachbarn unterstützen die Internetaktion und protestieren Äpfel-essend vor der russischen Botschaft in Vilnius gegen die russischen Sanktionen und zeigen mit polnischen Fahnen, die auf ihre Wangen gemalt sind, Solidarität.
Die niederländischen Landwirte verschenken jedenfalls ihre Ware bisher lieber an Hilfsbedürftige. Bei der gemeinnützigen Einrichtung "Voedselbank" in Maassluis sind zum Ende des Tages auch die letzten Kisten leer. "Gemüse zu züchten, um es wegzuwerfen, kann nicht die Lösung sein", meint die ehrenamtliche Helferin Joke Cats im Gespräch mit dem WDR. Weil es heute so viel war, hat sie auch extra noch Rezepte dazu gelegt.