1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Polizei von Migranten missachtet?

Wolfgang Dick10. Oktober 2015

Eine Polizistin hat in einem Buch beschrieben, was sie in ihrem Alltag immer wieder erlebt: körperliche Angriffe und Respektlosigkeit - oft ausgeübt von muslimischen Männern. Eine Einordnung.

https://p.dw.com/p/1GlRc
Porträt von Tania Kambouri (Foto: Sascha Kreklau / Piper Verlag)
Bild: Sascha Kreklau / Piper Verlag

Beleidigungen wie "Schlampe", Tritt- und Schubsattacken seien für sie an der Tagesordnung, erklärt die Bochumer Polizistin Tania Kambouri (Artikelbild) in einem ihrer zahlreichen Interviews dieser Tage. In Dienstuniform werde sie ignoriert und nicht geachtet, immer wieder bespuckt und bedrängt. Die Autorität der Staatsgewalt schwinde, die Gewalt gegen die Polizei nehme generell zu, beklagt sie in ihrem Buch "Deutschland im Blaulicht - Notruf einer Polizistin".

Hauptsächlich gehe die Gewalt von jungen muslimischen Migranten aus, ist eine der Hauptaussagen der Autorin griechischer Herkunft. Einsame Eindrücke einer besonders sensiblen Polizistin oder tatsächlich eine besorgniserregende Entwicklung mit hoher gesellschaftlicher Sprengkraft?

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen hat bereits 2012 zur Gewalt gegen Polizeibeamte geforscht. 18.443 Polizeivollzugsbeamte gaben Auskunft. Ergebnis: Junge Männer mit muslimischem Migrationshintergrund werden von den befragten Polizeibeamten als teilweise besonders aggressiv geschildert. Auf der Liste der Angriffsformen: Beleidigungen, Schreien, Brüllen, Toben, Drängeln, Treten, Stechen, Schlagen, Reißen und Festhalten. Weibliche Beamte erklärten, weniger respektiert, aber auch weniger tätlich angegriffen zu werden als ihre männlichen Kollegen. Mit ihren Eindrücken dürfte sich Tania Kambouri hier bestätigt sehen.

Symbolbild: Polizeiwagen mit Blaulicht im Dunkeln (Foto: picture-alliance/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Eine aktuelle Studie des Max-Planck-Instituts für Kriminologie in Freiburg belegt, dass vor allem türkischstämmige Jugendliche ein grundsätzlich hohes Vertrauen in die deutsche Polizei haben und es daher eher selten zu körperlichen Auseinandersetzungen mit den Beamten kommt. "Deutsche Muslime sind in großer Mehrheit gegen Gewalt", sagt Migrationsforscher Werner Schiffauer, Professor für Sozialanthropologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und Vorsitzender des Rates für Migration. Viele Fakten könnten das belegen. So kommt auch der Migrationsforscher und Politikberater Klaus J. Bade im Rahmen der interkulturellen Woche zu der Aussage: "Integration ist viel besser als ihr Ruf im Land". Der Frage, inwieweit mit einer wachsenden Zuwanderung auch die Auseinandersetzungen mit der Polizei steigen, haben sich Forscher immer wieder angenommen.

Sprengsatz für die Gesellschaft?

Der Kriminologe Christian Walburg von der Universität Münster begleitet mit seinem Team seit dem Jahr 2002 damals 13-jährige Jugendliche in Duisburg und untersucht ihren Kriminalitätsverlauf bis ins Erwachsenenalter inklusive der polizeilichen Kontakte. "Wir hatten in der zweiten und dritten Generation der Gastarbeiter eine erhöhte Kriminalität und Gewaltbereitschaft, die aber nach allen vorliegenden Datenquellen wieder deutlich zurückgeht", erklärt er im Gespräch mit der Deutschen Welle. Obwohl 20 Prozent der Duisburger Jugend türkischer Herkunft seien, fielen muslimische Jugendliche nicht besonders aus dem Rahmen.

Christian Walburg, Kriminologe an der Universität Münster (Foto: privat)
Kriminologe Christian Walburg: "Traditionelle Wertvorstellungen, aber keine Gewaltbefürwortung unter Muslimen"Bild: privat

Die fünf bis sechs Prozent der Intensivtäter unter jungen Menschen mit Migrationshintergrund, die auch Regeln gegenüber der Polizei missachteten, gebe es auch in der deutschstämmigen Bevölkerung, so Christian Walburg. Migrationsforscher stimmen ihm zu. Sie verweisen aber darauf, dass es in Familien mit sehr starken traditionellen Werten immer dann Probleme gebe, wenn zu wenige soziale Bindungen bestehen und ein stabiles Arbeitsverhältnis fehlt. "Bildung und Integration seien nach wie vor ein Schlüssel gegen die Verhaltensweisen, wie sie die Polizistin Tania Kambouri bemängelt.

Die Kontaktbeamten Jürgen Kiskemper und Thomas Nagel nehmen Erkan Üstünay, Leiter eines Moscheevereins, in ihre Mitte
Hier funktioniert die Verständigung sehr gut: Die Kontaktbeamten Jürgen Kiskemper (l.) und Thomas Nagel nehmen Erkan Üstünay, Leiter eines Moscheevereins, in ihre Mitte.Bild: Polizei Duisburg

Dialogbereitschaft als Gegenwehr der Polizei

Die Polizei selbst versucht, möglichen Parallelgesellschaften vorzubeugen. Das bevölkerungsreichste Bundesland Nordrhein-Westfalen beschäftigt seit dem Jahr 2004 in allen Polizeibehörden spezielle Kontaktbeamte, die in regelmäßiger enger Verbindung mit muslimischen Institutionen wie Heimat-, Kultur- und Moscheevereinen stehen. Einer dieser Kontaktbeamten ist Jürgen Kiskemper. Zusammen mit einem weiteren Kollegen kümmert er sich bei der Polizei Duisburg in Vollzeit um den Dialog und ein gutes Verhältnis zwischen den Beamten und Muslimen. In dieser Funktion und aus 20 Jahren Tätigkeit als Streifenpolizist an etlichen sozialen Brennpunkten der Stadt kennt auch Kiskemper kritische Situationen, wie sie Tania Kambouri in ihrem Buch beschreibt.

Kiskemper stellt im Gespräch mit der DW aber klar: "Wir machen Konflikte mit der Polizei nicht an der Religion fest." Die meisten Kooperationen liefen gut. Sogar eine Ordnungspartnerschaft mit dem Moscheeverein Genc Osman in Duisburg mit 100 betreuten Jugendlichen zeigten, dass Polizeiarbeit durchaus respektiert werde.

Gewalt und Pöbeleien entstünden meistens dann, wenn sich bestimmte Gruppen ohne positive Erfahrungen in der Gesellschaft schnell solidarisieren könnten, indem sie sich über gemeinsame Werte und Auffassungen gegenseitig bestärken und aufschaukeln. Dann könnten auch Hausbesuche oder Verkehrskontrollen eskalieren.

Arbeit mit muslimischen Jugendlichen im Projekt RAD - das steht für Respekt, Aufmerksamkeit und Disziplin (Foto : Polizei Dusiburg)
Kontaktbeamte der Polizei Duisburg mit muslimischen Jugendlichen im Projekt RAD - das steht für Respekt, Aufmerksamkeit und DisziplinBild: Polizei Duisburg

"Es geht um Anerkennung und Akzeptanz, die sonst im Alltag vielleicht fehlen", berichtet Kiskemper. "Es gibt immer nur bestimmte Gruppierungen, die Probleme machen." Bei einigen mag es dann Schnittmengen geben, wozu sicher auch mal junge Männer mit muslimischem Hintergrund gehören könnten, die auch Polizeibeamtinnen nicht achteten. Ein verallgemeinerndes Urteil über muslimische Migranten möchte Kiskemper nicht abgeben, weil es seinen Erfahrungen widersprechen würde. Respektloses Auftreten gegenüber der Staatsgewalt habe er schon vor vielen Jahren bei Spätaussiedlern ("die verstanden nur konsequentes Einschreiten") erlebt und ganz aktuell bei Libanesen, die zu 40 Prozent gar keine Muslime sind.

Die Beobachtungen der Bochumer Polizistin seien nur ein Teil einer Wirklichkeit, die in der Gesamtbetrachtung aber so komplex, vielschichtig und unterschiedlich sei, dass abschließende Schlußfolgerungen oder gar negative Zukunftsbewertungen nicht möglich seien, lautet das Fazit aller Gesprächspartner, die auf das Buch von Tania Kambouri angesprochen wurden.