Pressestimmen von Montag, 25. Juni 2007
24. Juni 2007Die Ergebnisse des Brüsseler EU-Gipfels sind noch einmal das beherrschende Kommentarthema der deutschen Tagespresse. 'Ja - aber', lautet durchweg das Urteil der Meinungsmacher.
Die FRANKFURTER ALLGEMEINE hat es so gesehen:
'Die Bundeskanzlerin, die an die Grenzen ihrer diplomatischen Möglichkeiten ging, konnte den polnischen Zwillingen zwar die Wurzel ziehen, den Zahn aber nicht. (...) Der Gipfel von Brüssel hat endgültig die Behauptung widerlegt, man könne die EU im selben Maße erweitern und vertiefen. Es wird in Zukunft nur noch in kleinen Schritten vorangehen. Doch gibt es eine Möglichkeit, auch das zu verhindern: durch die Aufnahme der Türkei. Das Menetekel von Brüssel ist zwar in polnischer Sprache verfasst. Wer aber wollte nach diesem Schauspiel noch ernsthaft behaupten, die Zeichen an der Wand seien nicht zu verstehen?,' mahnt die FAZ.
Die NÜRNBERGER ZEITUNG wägt gegeneinander ab:
'Die Kritiker haben ja recht, wenn sie das Gipfel-Ergebnis bemängeln. Aber hätte Angela Merkel denn Alternativen gehabt in dieser Brüsseler Nacht? (...) Die Kanzlerin hat ohnehin va banque gespielt in jenen Morgenstunden, als sie nach der Brüskierung durch den in Warschau quer treibenden Ministerpräsidenten Jaroslaw Kaczynski den Polen mit der Isolierung drohte. Zugleich ließ sie allerdings den französichen Präsidenten und den britischen Premier ebendort antichambrieren - eine taktische Meisterleistung - und holte so Warschau wieder ins Boot; und zwar zu akzeptablen Bedingungen.'
Ein zwiespältiges Bild zeichnet auch die MITTELDEUTSCHE ZEITUNG aus Halle:
'Der neue Vertrag regelt viele überfällige Reformen, das ist schon richtig. Aber er verstellt den Blick auf das eigentliche Problem, das ihn überhaupt erst nötig gemacht hat: die Neuordnung dessen, was Europa regeln soll, und was Sache der Mitgliedstaaten bleibt. Bei allem Traum vom großen Ganzen gehört die wachsende Skepsis vor allzu großer Zentralisierung zur Realität, der man Rechnung tragen muss. Genau da schweigt sich der Grundlagenvertrag jedoch aus. Damit aber ist der Keim für die nächsten Auseinandersetzungen gelegt.'
Als Resumee ein Blick in die STUTTGARTER ZEITUNG, die prognostiziert:
'Noch ist der Leidensdruck nicht so groß, dass er zu einem grundlegenden Umbau der Union führen würde. Der Zeitpunkt ist aber nicht fern, an dem sich die Mitgliedstaaten zwischen Stillstand und einem Europa der zwei Geschwindigkeiten entscheiden müssen. Bevor Europa an kleinlichen nationalistischen Egoismen erstickt, bevor es vergiftet wird durch die Instrumentalisierung seiner leidvollen Geschichte, müssen die einigungswilligen Regierungen Kerneuropas den Mut und den Willen aufbringen, die Blockade der Integrationsgegner aufzubrechen. Sie dürfen nicht zulassen, dass in Europa eine kleine Minderheit der Mehrheit ihren Willen aufzwingt und das Zusammenwachsen des alten Kontinents verhindert.'
Ein Teil der Tagespresse widmet sich auch der Suche der deutschen Sozialdemokratie nach Programm und Führungsstärke, angesichts der starken Position der Kanzlerin Merkel. Auf dem Zukunftskongress in Hannover grenzte der Vorsitzende Beck seine Partei von der Union und von der neuen Linken ab. Der Kampf um einheitliche Mindestlöhne soll die SPD als Partei der sozialen Gerechtigkeit profilieren. Die Kommentatoren bleiben skeptisch.
Der TAGESSPIEGEL aus Berlin analysiert:
'Die Union habe ihre Ideologie, wonach der Staat sich nicht einmischen dürfe, über die Interessen der Menschen gestellt, sagt die SPD. Und dringt damit durch, obwohl der Mindestlohn-Kompromiss den Staat sehr wohl ins Spiel bringt und Merkel der SPD viel weiter entgegen gekommen ist, als es der Wirtschaftsflügel der Union gutheißen kann. Merkel fehlt das Gespür dafür, dass der freie Fall den Nerv von Millionen Menschen so berührt, dass der Mindestlohn mit k e i n e r kühlen Taktik vom Tisch zu bringen ist. - Nach Münteferings Offensive ist die Kanzlerin am Zug: Holt sie in Nordrhein-Westfalen, bei Jürgen Rüttgers, Rat und Hilfe?'
Die NEUE WESTFÄLISCHE aus Bielefeld hält selbst Empfehlungen für Merkel bereit:
'Das Vorhaben ist kühn und der Erfolg erst im nächsten Jahr überprüfbar: Die SPD will Kanzlerin Merkel als unsozial und parteiisch demaskieren. Die Kanzlerin wäre gut beraten, aus sachlichen wie aus politischen Gründen, auf die SPD mehr Rücksicht zu nehmen. Ein zweijähriger Dauerstreit in der großen Koalition wird die Politikverdrossenheit der Bürger und damit antidemokratische Bewegungen verstärken.'
Die WESTDEUTSCHE ALLGEMEINE ZEITUNG aus Essen gibt Beck und der Mindestlohn-Strategie hingegen wenig Chancen:
'Beck, von vielen bereits zum kumpeligen Loser abgestempelt, setzte zum Rundumschlag von links an. Gegen die vermeintlich neoliberalen Tendenzen der Union positionierte Beck die SPD bei Kündigungsschutz (...) und Mindestlohn als Beschützerin des kleinen Mannes. Klingt gut, ist aber gefährliche Deutschland-Idylle in Zeiten der Globalisierung. Überfällig war hingegen Becks klare Kante gegen die Linke. Das sitzt.'
Die ALLGEMEINE ZEITUNG aus dem rheinland-pfälzischen Mainz kennt SPD-Beck in seiner Rolle als Landesvater, sieht ihn als Parteiführer derzeit aber eher schwach: '...Beck muss zeigen, dass er willens und imstande ist, einen Zweifrontenkrieg zu führen. Denn neben der Profilierung gegen die Union und ihre strahlende Chefin Merkel steht auch - und vor allem - die Abwehr- und Abgrenzungsschlacht gegen 'die Linke' Lafontaines an. Der bedient sich ungeniert der Grundwerte der SPD und lässt sie damit bei einer wachsenden Zahl Unzufriedener ganz schön alt aussehen.'
Der SCHWARZWÄLDER BOTE aus Oberndorf hat Beck noch nicht völlig abgeschrieben:
'Beck ist Vorsitzender der SPD, aber Hoffnungsträger für eine schnelle Rückkehr ins Kanzleramt sind zwei andere: Außenminister Steinmeier und 'Peer im Glück',- Finanzminister Steinbrück, den der Aufschwung mit nach oben schwemmt. Doch die Rheinland-Pfälzer sind als oftmals unterschätzte Dickschädel bekannt:- das weiß man von Ex-Kanzler Kohl und eben auch von Beck.'