Ratzingers Überraschungs-Tag
13. Mai 2005
Wer hätte das dem kühlen und sittenstrengen Deutschen zugetraut? Zwar gilt Erzbischof William Levada in Fragen der Glaubens- und Sittenlehre als konservativ und damit auf "Ratzinger-Linie", aber "man mache sich mal die Unterschiede zwischen beiden Männern klar", fordert ein Theologe aus Rom: Ratzinger verbrachte die letzten 20 Jahren hinter den dicken Mauern des Vatikans. Sein Nachfolger in der Glaubenskongregation war Bischof in San Francisco: Die Stadt am Pazifik gilt als extrem individualistisch - und als Mekka für Homosexuelle aus aller Welt.
Zwischen sittenstreng und offenherzig
Das besondere Milieu der Stadt, das extreme Laissez-faire, der "zügellose Individualismus" Kaliforniens - das war kein einfaches Pflaster für Levada. Wiederholt hat er sich gegen alle Versuche zur Wehr gesetzt, die gleichgeschlechtliche Ehe zu erlauben. Jedoch habe der Erzbischof den heiklen Dialog mit der liberalen Stadtverwaltung über die Rechte Homosexueller nie gescheut, betont die Erzdiözese. Das hat bestimmt Spuren im Denken hinterlassen, wie in Rom teils hoffnungsvoll, teils besorgt zur Kenntnis genommen wird. Ein "Pragmatiker" sei Levada - im Vatikan gilt das mitunter als feine Umschreibung für einen Reformer.
Kein Neuling in Rom
Der Amerikaner wird jetzt in Rom wohl oder übel die Macht des neuen Amtes zu spüren bekommen, "wie eine Zwangsjacke", wie es mitunter heißt. Die Glaubenskongregation soll - so hat es jedenfalls Papst Johannes Paul II. 1988 definiert - "die Glaubens- und Sittenlehre in der ganzen katholischen Kirche fördern und schützen". Der wichtigsten Vatikan-Behörde fällt damit auch die Pflicht zu, gegen religiöse Abweichungen innerhalb der katholischen Kirche vorzugehen und Sanktionen zu verhängen. Levada kennt die Glaubenskongregation bereits: Der heute 68-Jährige hat bereits von 1976 bis 1982 dort gearbeitet. 1986 wurde er Erzbischof von Portland und 1995 Erzbischof von San Francisco.
Levada ist ein "anspruchsvoller Theologe und kühner Bewahrer mit Leidenschaft für Pragmatik". Er hat in den 1990er Jahren gemeinsam mit Ratzinger an der Neuauflage des Katechismus der katholischen Kirche gearbeitet. Beide kennen sich seit langem, die Zusammenarbeit klappt reibungslos. Traditionell wird ein Kardinal zum Präfekten der Kongregation ernannt. Levada ist bislang "nur" Bischof, es ist also damit zu rechnen, dass Papst Benedikt ihn noch in diesem Jahr zum Kardinal befördern wird. "Die Konservativen werden sich noch wundern", meinte unlängst ein deutscher Vatikanmitarbeiter über den Papst.
Lesen Sie im zweiten Teil der vatikanischen Personalpolitik: "Santo Subito" - Papst Benedikt XVI. setzt sich über gängiges Kirchenrecht hinweg.
"Santo subito" hatten die Gläubigen auf dem Petersplatz gefordert, als Papst Johannes Paul II. beerdigt wurde. Aber im allgemeinen betrachtet die Kirche und die Kurie derart emotionale Aufwallungen mit Kühle: Schließlich richtet sie ihr Handeln nicht nach launigen Stimmungen, kurzfristigen Moden oder gar dem Zeitgeist aus. Außerdem kann nach dem Kirchenrecht nur selig gesprochen werden, wer nach seinem Tod ein Wunder bewirkt. Eine Untersuchung des Lebenswegs Johannes Pauls II. und die Anerkennung eines Wunders steht jedoch noch aus.
Dennoch ist man sich in Rom sicher, dass eine der schnellsten Seligsprechungen der Kirchengeschichte bevorsteht. Sie gilt wiederum als Vorstufe zu einer baldigen Heiligsprechung. Normalerweise dauert es viele Jahrzehnte, bis die katholische Kirche jemanden selig spricht. Eine große Ausnahme war die Ordensschwester Mutter Teresa aus Kalkutta, die 2003 nur sechs Jahre nach ihrem Tod geehrt wurde - eine der schnellsten Seligsprechungen, die es je gab.
Akten sichten und bewerten
Formal ist das Verfahren jetzt eröffnet: Benedikt XVI. las persönlich in lateinischer Sprache die formelle Erklärung der Kongregation für die Selig- und Heiligsprechungen vor. Ausdrücklich heißt es darin, die übliche fünfjährige Wartezeit werde "gegen alle möglichen Einsprüche" aufgehoben. Die in der Laterankirche versammelten Bischöfe, Kardinäle und Priester dankten dem Papst mit brausendem Beifall.
Pfarrer Peter Gumpel, der die Seligsprechung von Papst Pius XII. leitete, erklärte jedoch, es werde noch lange dauern, bis Johannes Paul selig gesprochen werden könne. Zunächst müssten Dokumente und persönliche Schriftstücke des verstorbenen Papstes gesammelt und gesichtet werden, dann müssten Zeugen aus der ganzen Welt vor Kirchentribunalen aussagen und die Ergebnisse Historikern, Theologen, Bischöfen und Kardinälen zur Prüfung vorgelegt werden. (arn)