Undemokratische Proteste
3. September 2008Sie stürmten den Regierungssitz eines demokratisch gewählten Ministerpräsidenten und halten ihn bis heute besetzt. Gewerkschaften haben außerdem für diesen Mittwoch (3.9.2008) zu einem landesweiten Streik aufgerufen. Seit gut einer Woche protestieren tausende Thailänder gegen die Regierung von Ministerpräsident Samak Sundaravej. Aufhören wollen sie erst, wenn er zurücktritt.
Demokratisch gewählte Marionette
Erst 2006 hatte die selbe bunte Mischung aus Anhängern des Königs, Bürokraten und Gewerkschaftern nach wochenlangen Protesten den Sturz des damaligen Ministerpräsidenten Thaksin Shinawatra erwirkt. Jetzt, zwei Jahre später, glaubt die Volksallianz für Demokratie (PAD), dass Ministerpräsident Samak Sunderavej das Land im selben Stil führt. Er sei nur eine Marionette Thaksins, der Thailand aus dem Exil weiter regiere.
Die vermeintliche Marionette ist jedoch demokratisch gewählt - und wird von einer breiten Mehrheit unterstützt. In dem Konflikt geht es um reich gegen arm, Stadt gegen Land, Nord gegen Süd - und vor allem um das Erbe des umstrittenen "Berlusconis Asiens", das Erbe des Thaksin Shinawatra.
Das Erbe Thaksins
Der Selfmademilliardär aus dem hohen Norden Thailands, der es vom Polizisten zum Medienmogul und reichsten Mann des Landes brachte, wurde mit seiner Partei "Thais lieben Thais" 2001 Ministerpräsident. Sein Nationalismus kam beim Volk gut an. Auch mancher Wirtschaftsführer mochte seinen Stil. Thaksin führte das Land wie ein Vorstandsvorsitzender und sorgte für einen neuen Wirtschaftsboom.
Vor allem aber bei der Landbevölkerung – und damit bei der Mehrheit der Thais – konnte er mit seiner Politik punkten. "Thaksin hat als erster soziale Themen auf die Agenda gesetzt. Er hat das Signal gegeben, dass Politik bedeutet, dass der Staat auch etwas für die Ärmeren tut", sagt Canan Atilgan von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bangkok. Den einfachen Menschen ging es spürbar besser – unter anderem wegen erschwinglicher Kleinkredite für kleine Bauern. Die traditionellen Eliten, Bürokraten, Intellektuelle in Bangkok jedoch verloren an Einfluss.
Ein Putsch der Reichen
2006 jedoch überspannte Thaksin den Bogen, als er sein Medienimperium für umgerechnet gut 1,5 Milliarden Euro an eine Singapurer Anlagegesellschaft verhökerte - steuerfrei dank eigens ausgehandelter Sondergesetze. Die Eliten sahen ihre Chance und gingen auf die Barrikaden. Das Militär putschte unblutig, Thaksin dankte ab.
2007 wurde eine Nachfolgepartei von "Thais lieben Thais" gegründet. Der "Peoples Power Party"(PPP) steht seitdem der amtierende Ministerpräsident Samak vor - von Thaksin persönlich protegiert. "Insofern kann man schon sagen, dass Samak eine Marionette von Thaksin war", sagt Atilgan. Heute könne davon jedoch keine Rede mehr sein. Anfang August setzte sich Thaksin nach London ab, um mehreren Gerichtsverfahren in seiner Heimat zu entgehen. "Thaksins Einfluss auf die Partei und die Regierung schwindet".
Wahlbetrug ist nachgewiesen
Ein anderer Vorwurf der Protestler sticht dagegen schon eher: der des Wahlbetrugs. Zwar wurde die Parlamentswahl im Dezember 2007 von Beobachtern als frei und fair bewertet, doch es gilt mittlerweile als erwiesen, dass der Sprecher der PPP in einen Betrugsfall involviert war. Und nach der thailändischen Verfassung gilt: Sind Vorstandsmitglieder einer Partei in Wahlbetrugsfälle verwickelt, muss die betroffene Gruppierung aufgelöst werden.
Doch ein Gerichtsverfahren reicht den Demonstranten von der PAD offenbar nicht aus. Sie wollen den Wechsel erzwingen und fordern den sofortigen Rücktritt Samaks. Ihre Alternative für die Zeit danach, passt allerdings kaum zu einer "Volksallianz für Demokratie". Gemäß ihrer Vorstellungen soll das Parlament zukünftig zu 70 Prozent aus vom König ernannten Vertretern bestehen. Zu diesem erlauchten Kreis sollen vor allem sie selbst zählen - die städtischen Eliten.
Die Begründung: Thailand sei noch nicht reif für eine Demokratie nach westlichen Standards, die Landbevölkerung zu schlecht ausgebildet, um sich ausreichend zu informieren. "Mit anderen Worten: Die Armen sind dumm", sagt der thailändische Politikwissenschaftler Giles Ungpakorn. "Sie verstehen einfach nicht, dass sie nicht eine Partei wählen sollen, die ein umfassendes Gesundheitssystem für sie geschaffen hat. Das ist schlecht fürs Land, schlecht für die Haushaltsdisziplin", polemisiert der Politikwissenschaftler. Die PAD spreche der Landbevölkerung somit die Souveränität ab, meint auch Thailand-Expertin Atilgan: "Das ist klar antidemokratisch".
Tyrannei der Minderheit
Würde Ministerpräsident Samak dem Druck nachgeben und zurücktreten, könnten sich die alten Eliten die Macht wieder sichern. Dies bedeute die Tyrannei einer Minderheit, meint der thailändische Politologe Titinan Pongsudhirak. "Eine kleine Minderheit in Bangkok kann das ganze Land unter Druck setzen."
Die einzig rationale Lösung für den Konflikt, so meint Canan Atilgan, bestünde in Neuwahlen – und zwar nach dem bisherigen, demokratischen System. Die Chancen für Samaks Partei, zu gewinnen, stünden trotz – oder gerade wegen der Proteste – gar nicht schlecht.