Was die Parteien über die Religion sagen
9. August 2013
Sie sind 92, 127 oder auch 337 Seiten lang – in umfangreichen Programmen formulieren die im Bundestag vertretenen Parteien ihre Vorhaben und Versprechen zur Wahl. Dabei spielt an einigen Stellen ausdrücklich auch das Thema Religion eine Rolle. Was vor der Entscheidung am 22. September 2013 auffällt:
- direkter als in früheren Jahren streben Parteien Änderungen bei der rechtlichen Stellung der Kirchen an. Das gilt besonders für das Arbeitsrecht
- mehrere Programme fassen "Kirchen, Religionen und Weltanschauungsgemeinschaften" betont zusammen
- fast alle Texte kommen auf islamistische Bedrohungen zu sprechen. Vor der anstehenden Wahl geht es ebenso sehr um den Umgang mit Extremisten wie um Fragen der Integration, die vor vier Jahren eher dominierten
- die Rolle der jüdischen Gemeinden in Deutschland spielt 2013 kaum eine Rolle
Stellung der Kirchen im Fadenkreuz
In Deutschland ist die Stellung der Kirchen rechtlich fest verankert. Debatten darüber sind Folgen eines gesellschaftlichen Wandels und der statistischen Veränderungen. Nach den jüngsten Zahlen, dem "Zensus 2011", gehören von 80,2 Millionen Deutschen noch 53,2 Millionen einer christlichen Kirche an. Rund 60 Prozent sind entweder römisch-katholisch oder evangelisch. Die Zahlen sinken von Jahr zu Jahr.
Doch ist die Bedeutung der Kirchenmitglieder als Wahlpotenzial durchaus höher, als es die Zahlen vermuten lassen. Renate Köcher vom Institut Allensbach, die vielleicht bekannteste Meinungsforscherin Deutschlands, verweist auf die Wahlbeteiligung: Ältere Deutsche nutzten ihr Wahlrecht weit stärker als unter Dreißigjährige. Das gelte besonders für die Generation "50plus", die überdurchschnittlich religiös gebunden sei, sagt sie der Deutschen Welle. Und selbst bei jüngeren Deutschen erkennen Meinungsforscher Unterschiede in der Wahlbeteiligung – je nach religiöser Bindung. Die haben, wenn sie religiös gebunden sind, eine höhere Bereitschaft, zur Wahl zu gehen und die Wahlen ernst zu nehmen, als gleichaltrige Bundesbürger ohne religiöse Bindung, hat Köcher festgestellt.
Thema Religion als eigenes Kapitel
Eigene Kapitel zum Thema Religionsgemeinschaften finden sich bei den Unionsparteien - und bei der Linken. Das entspricht den Erwartungen der jeweiligen Klientel.
Für CDU und CSU haben kirchlich gebundene Wähler nach wie vor ausdrücklich hohe Bedeutung. Die mit Abstand höchste Affinität zu den Unionsparteien findet sich nach Angaben Köchers unter kirchennahen Katholiken. Das ist gewiss auch einer der Gründe dafür, warum die CDU-Vorsitzende Bundeskanzlerin Angela Merkel in den vergangenen Wochen zu Papst Franziskus in den Vatikan flog und ein Zentrum des evangelischen Pietismus im Schwabenland besuchte. Das steht für eine Wählerbindung, die sich allerdings im Wahlprogramm bei Sachfragen – beispielsweise in der Sozial- und Familienpolitik oder beim Lebensschutz – nicht auffallend niederschlägt. Eher im Lob für den "wichtigen Beitrag", den Kirchen und Religionsgemeinschaften für das Gemeinwesen leisteten.
Partnerschaftliche Zusammenarbeit
Die Unionsparteien "bekennen sich ausdrücklich zur christlichen Prägung" Deutschlands. Und sie loben das Staatskirchenrecht, das die gesellschaftliche Stellung der Kirchen rechtlich absichert, als bewährte und "geeignete Grundlage für eine umfassende partnerschaftliche Zusammenarbeit mit allen Religionsgemeinschaften". Für Muslime ist die Fortsetzung der deutschen Islamkonferenz das konkreteste Versprechen der Union.
Die Linke titelt: "Bekenntnisfreiheit verwirklichen, Religionsgemeinschaften gleichbehandeln, Staat und Kirche institutionell trennen". Sie will die "institutionelle Trennung" von Staat und Kirche und konkretisiert das in zahlreichen Punkten: Militärseelsorge und Kirchensteuer abschaffen, Feiertagsgesetze überprüfen, religiöse Symbole aus Schulen verbannen.
Auch bei Sozialdemokraten und Grünen findet sich Kritik an rechtlichen Regelungen für die Kirchen, aber sie konzentrieren sich auf das Arbeitsrecht. Beschäftigte bei Kirchen sollten die gleichen Arbeitnehmerrechte bekommen wie andere, sollten also beispielsweise auch streiken oder aus der Kirche austreten dürfen. Die Grünen sprechen von der "Ablösung der altrechtlichen Staatsleistungen" auf dem Verhandlungswege. Aber zumindest die SPD würdigt Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften als wichtige Partner "auf dem Weg zu einer besseren Gesellschaft".
Thema Islam nur am Rande
Beim Thema Islam wird die FDP am konkretesten. Unter anderem streben die Liberalen weitere Lehrstühle für islamische Theologie an den Universitäten an. Sie wollen mehr deutschsprachige Imame und muslimische Religionslehrer und nennen islamischen Religionsunterricht in deutscher Sprache selbstverständlich. Und die Freien Demokraten schlagen eine "Akademie für Islamstudien" vor, die öffentliche Stellen in Deutschland beraten soll. Interessant ist der Gegensatz zu den Grünen als bürgerlichen Konkurrenten der FDP. Deren umfangreiches Programm thematisiert einige Male Islamfeindlichkeit, nennt aber keinerlei Details zu Bildung und Integration. Noch knapper bleiben die Sozialdemokraten.
Dabei drängen Experten seit langem auf konkrete Schritte hinsichtlich der rechtlichen Grundlage der Muslime in diesem Bereich. Sie kritisieren die Politik sogar wegen angeblicher Untätigkeit. Der Münsteraner Politologe Ulrich Willems warf kürzlich Bund und Ländern vor, entsprechende Fragen der Religionspolitik zu vernachlässigen. Es herrsche erheblicher "Problemdruck" – auch deshalb, weil das deutsche System aus der Nachkriegszeit auf eine mehrheitlich christliche Gesellschaft zugeschnitten gewesen sei
Bevölkerung skeptisch gegenüber Muslimen
Für Renate Köcher kommt aber ein weiterer Punkt hinzu. Zwar sei das Thema Islam politisch sehr präsent. Die Bevölkerung sei aber "sehr skeptisch, was die friedliche Koexistenz angeht", und fürchte Gegensätze bei Wertevorstellungen. Da zeige sich ein völlig unterschiedliches Bild von Islam und Christentum. "Von daher ist auch verständlich, dass das in den politischen Programmen seinen Niederschlag findet." Offensichtlich durch Erwähnung – oder Nichterwähnung. Auch die Meinungsforscherin nennt das Thema der Integration politisch "unterbelichtet".