Gedenken im Internet
26. Juni 2008In Russland ist ein Projekt mit der Bezeichnung "Babi Jary Rossii" gestartet, in dessen Rahmen Informationen über die Orte gesammelt werden sollen, wo Holocaust-Opfer begraben liegen. Mit Hilfe mehrerer gesellschaftlicher Organisationen konnte am 20. Juni die Internetseite www.holomemory.ru eröffnet werden. Auf der Seite gibt es eine Landkarte Russlands, auf der Orte mit jüdischen Gräbern eingezeichnet sind. Über diese Orte kann man vielfältige Informationen erhalten, die regelmäßig aktualisiert werden.
Fehlendes Gedenken
Wie die Organisatoren der Seite beklagen, wird den Juden, die von den Nazis getötet wurden, in Russland bis heute nicht auf gebührende Weise gedacht. Yuriy Kanner vom European Jewish Fund meint, weder die sowjetische noch die russische Staatsmacht habe den Holocaust-Opfern ein Mahnmal gesetzt, einen Obelisken oder eine Gedenktafel aufgestellt.
Kanner zufolge durfte bis zum "Tauwetter" der 60er Jahre, als die massenweise gezielte Vernichtung der Juden durch die Nazis von der sowjetischen Führung offiziell anerkannt wurde, keine Rede davon sein, irgendwo ein Schild aufzustellen mit dem Hinweis "Hier liegen Holocaust-Opfer begraben". Aber auch in der Folgezeit sei nichts passiert. Kanner sagte, die sowjetische Propaganda habe sogar Angehörige von Holocaust-Opfern gezwungen, zu schweigen. "Sogar in unserer Familie, die zur Hälfte von den Nazi ermordet wurde, hat man so gut wie nicht darüber gesprochen", erinnert sich Kanner.
Private Initiativen
Die Gedenktafeln, die es in Russland dennoch gibt, sind der Verdienst privater Personen. Ilja Altman, Historiker und Mitvorsitzender des Moskauer Holocaust-Zentrums, sagte, viele Menschen, die die Erinnerung an den Holocaust aufrechterhalten wollten, seien direkt gar nicht von ihm betroffen gewesen.
Nach Angaben des Moskauer Holocaust-Zentrums werden in 23 verschiedenen Gebieten im heutigen Russland mehr als 400 Gräber von Juden vermutet, die von den Nazis während des Zweiten Weltkriegs getötet wurden. "Man muss zugeben, dass wir Russen in vielerlei Hinsicht hinter unseren Kollegen in den baltischen Ländern, in Belarus und in der Ukraine hinterherhinken, die sich schon zu Beginn der 90er Jahre dem Gedenken an die Holocaust-Opfer angenommen haben. Als wir unsere Arbeit aufnahmen, stellten wir fest, dass ein Teil der gefundenen Gräber von den Menschen vor Ort instand gehalten und gepflegt wurden", so Altman. "Das waren weder Juden noch Historiker."
Mangelhafte Lehrbücher
Einer der Autoren des Projekts "Babi Jary Rossii", der Vizepräsident des Russischen Jüdischen Kongresses, Nikolaj Propirnyj, beklagt, dass es staatlicherseits keine Unterstützung für das virtuelle Museum gibt. Mehr noch, nach einer Prüfung von Geschichts-Lehrbüchern, die für den Unterricht an Mittelschulen empfohlen würden, sei festgestellt worden, dass diese keinerlei Informationen über den Holocaust enthielten. "Wir haben etwa 40 Lehrbücher geprüft und das Bildungsministerium über das traurige Ergebnis in Kenntnis gesetzt", so Propirnyj. Ein weiteres Problem sei, dass heute im Lehrplan lediglich vier Schulstunden für den Zweiten Weltkrieg vorgesehen seien.
Die Autoren des Projekts "Babi Jary Rossii" wollen ferner erreichen, dass in Russland ein Gedenktag für die Opfer des Holocaust eingeführt wird.
Jegor Winogradow