Schüsse auf protestierende Textilarbeiterinnen
25. Februar 2012Mehr als 1000 Arbeiter und Arbeiterinnen des Sportartikelzulieferers Kaoway Sports, der unter anderem auch an den deutschen Sportartikelhersteller Puma liefert, gingen auf die Straße. Sie forderten eine Lohnerhöhung um zehn auf 71 US-Dollar pro Monat, einen Zuschuss von 50 Cent für Fahrtkosten und eine Beihilfe zum Mittagessen, wie die kambodschanische Menschenrechtsorganisation Licadho berichtet.
Nach Erkenntnissen der in Berlin ansässigen entwicklungspolitischen Organisation INKOTA-netzwerk e.V. soll ein bisher nicht identifizierter Mann in der Uniform eines Polizisten gezielt das Feuer auf die Demonstranten eröffnet haben. Dabei sei die 21-jährige Arbeiterin Buot Chinda lebensgefährlich verletzt worden. Ihre Kolleginnen Keo Neth und Nuth Sakhorn seien ebenfalls mit Schussverletzungen ins Krankenhaus eingeliefert worden. Der Täter konnte unerkannt flüchten.
Unwürdige Arbeitsbedingungen in Textilindustrie
In der kambodschanischen Textilindustrie arbeiten rund 300.000 Menschen, überwiegend Frauen. Die Branche ist damit einer der größten Arbeitgeber und einer der größten Exporteure des Landes. Die Arbeiterinnen haben oft keine Ausbildung. Sie ziehen als billige Arbeitskräfte in die Städte und müssen einen Teil ihres Hungerlohnes an ihre Familien schicken, um deren Überleben zu sichern. Da es ein Überangebot an Arbeitskräften gibt, können die Textilfirmen die Löhne bis auf oder unter das Existenzminimum drücken.
Die unwürdigen Bedingungen führten in den vergangenen Jahren zu immer neuen Protesten. Dabei kam es wiederholt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die Arbeitgeber dulden keine gewerkschaftlichen Aktivitäten. Im September 2010 wurden rund tausend Gewerkschaftsaktivisten entlassen, nachdem sie zu einem Arbeitskampf aufgerufen hatten. Auch die Sicherheitsbehörden greifen oft in Arbeitskämpfe ein.
Volkstribunal kritisiert Textilbranche
Ein gewerkschaftlich organisiertes Volkstribunal stellte Anfang Februar in Phnom Penh fest, dass die Textilarbeiterinnen im Lande "systematisch in die Armut gedrängt" würden. Mehr als 200 Arbeiterinnen hatten vor dem Tribunal ausgesagt. Sie bestätigten übereinstimmend, sich ohne Lohnerhöhungen kaum ernähren zu können, geschweige denn ihre Familien. Viele Arbeiterinnen gaben an, dass sie fürs Überleben hoch verschuldet seien. Befristete Verträge zur Umgehung von Sozialleistungen oder überhaupt kein Arbeitsvertrag seien die gängige Praxis. Die große Zahl von Schwächeanfällen in den Fabriken seien die direkte Folge der Mangelernährung und Erschöpfung, hieß es auf dem Tribunal. Vom Juni 2010 bis Januar 2012 wurden allein nach offizieller Statistik mehr als 2.400 bei der Arbeit kollabierte Textilarbeiter registriert.
Lars Stubbe, Koordinator der Eilaktionen der "Kampagne für saubere Kleidung" in Deutschland, kritisiert das Management der kambodschanischen Textilfirmen: "Der gegenwärtige gesetzliche Mindestlohn von 61 US-Dollar ist in keiner Weise ausreichend, um die Bedürfnisse der Textilarbeiterinnen und ihrer Familien zu befriedigen. Es kann nicht sein, dass Textilarbeiterinnen zwölf Stunden pro Tag schuften und dennoch vor Hunger zusammenbrechen."
Bisher sind die niedrigen Lohnkosten der entscheidende Vorteil für die Exportindustrie von Kambodscha. Das Tribunal fordert, die Löhne auf das Existenzminimum anzuheben. Die großen Firmen sollen die Arbeitsbedingungen in ihrer Preis- und Einkaufspolitik vorrangig bedenken und die Menschenrechte anerkennen. Allerdings ist die Forderung des Tribunals nicht rechtsverbindlich.
"Gerechter Arbeitslohn"
Im Gegensatz zu den größten Abnehmern in Kambodscha, der amerikanischen Modekette Gap und dem schwedischen Textileinzelhändler H&M, nahmen die deutschen Sportartikelhersteller Adidas und Puma an dem Tribunal teil. Sie wollen mit Hilfe von Zeugenaussagen feststellen, wie ein "gerechter Lohn" in Kambodscha definiert werden kann.
Anannya Bhattacharjee, Koordinatorin des internationalen Bündnisses für einen asiatischen Existenzlohn (AFW), hält das allerdings für nicht ausreichend: "Das kambodschanische Volkstribunal machte die tiefe Kluft zwischen der sozialen Verantwortung internationaler Markenfirmen einerseits und der realen Situationen der asiatischen Textilarbeiterinnen andererseits sichtbar."
Das AFW fordert als Existenzminimum einen monatlichen Mindestlohn von 281 US-Dollar bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 48 Stunden. Dieser Lohn würde ausreichen, um eine vierköpfige Familie zu ernähren.
Puma um Wiedergutmachung bemüht
Die deutsche Firma Puma will nach eigenen Angaben die Vorkommnisse in Kambodscha untersuchen lassen. Des Weiteren erklärt sich der Konzern bereit, die Behandlungskosten für eine der verletzten Textilarbeiterinnen zu übernehmen, die zwischenzeitlich von Puma in ein besser ausgestattetes Krankenhaus gebracht wurde. Außerdem habe der Zulieferer Kaoway zugestimmt, die Forderungen der Arbeiterinnen aus der betroffenen Region zu erfüllen. Auch verschiedene Besprechungen mit Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften seien geplant, um Lösungen für die anhaltenden Konflikte zu finden.
Der Menschenrechtsaktivist Stubbe bewertet die ersten Reaktionen Pumas als vielversprechend, wenn auch zu vage. Er betont: "Wir erwarten auf längere Sicht natürlich einen unabhängigen Bericht und dass sich das Unternehmen auf existenzsichernde Löhne zubewegt, wie es das ja auf dem Tribunal kundgetan hat."
Autor: Rodion Ebbighausen
Redakteur: Hans Spross/gh