Bunt, aber wenig Inhalt
20. September 2013Die Wahlplakate, die derzeit überall in Deutschland an Straßenlaternen und Häuserwänden hängen, hätten ihn überrascht, sagt der ägyptische Politologe Mazen Hassan: "Die sind nicht so aggressiv, wie ich erwartet hatte." Seiner griechischen Kollegin Vasiliki Georgiadou ist ein Wahlplakat der Linken mit dem Slogan "100 Prozent sozial" aufgefallen. "Es gibt einfach kaum negative Kampagnen im deutschen Wahlkampf." Chunrong Zheng grinst: "Je größer die Parteien, desto größer und farbenfroher ihre Plakate." Inhaltlich sei die bunte Pappe allerdings ziemlich farblos, sagt der chinesische Politikwissenschaftler: So würden SPD und CDU vor allem auf Persönlichkeiten, kaum aber auf Inhalt setzen.
Georgiadou, Hassan und Zheng gehören zu einer Gruppe von 20 Deutschlandexperten aus aller Welt, die der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) eingeladen hat, um den Wahlkampf und die Bundestagswahl am 22. September zu beobachten.
"Fast nur innenpolitische Themen"
Die Wahlen und die anschließende Regierungsbildung seien für Wissenschaftler wie ihn von großem Interesse, sagt Hassan, Politikwissenschaftler an der Universität Kairo: "Für uns ist es faszinierend, wie in der Koalitionspolitik kleine Parteien manchmal einen großen Einfluss haben." Oder aber, dass die SPD - immerhin die zweitstärkste Partei in Deutschland - im Falle einer schwarz-gelben Koalition nicht mit die Regierung bildet. Interessant sei auch, wie strategisch deutsche Wähler denken würden. "Die denken die verschiedenen Koalitionsmöglichkeiten durch."
In seinem Heimatland Ägypten würde die Bundestagswahl von der breiten Bevölkerung kaum wahrgenommen, sagt Hassan. "Die Menschen sind einfach zu beschäftigt mit den ganzen innenpolitischen Problemen."
In China hingegen werde die Wahl mit großem Interesse verfolgt, sagt Chunrong Zheng von der Tongji-Universtität in Shanghai. Schließlich sei Deutschland Chinas wichtigster Partner in Europa. Er bedauert allerdings, dass die großen Parteien fast nur auf innenpolitische Themen im Wahlkampf setzen würden - mit Ausnahme von Griechenland. "Ich vermisse die Frage nach der Zukunft von Europa, vor allem jetzt, wo sich die Euro-Krise langsam bessert." Das Thema werde derzeit nur von den kleinen, europaskeptischen Parteien besetzt - etwa von der neu gegründeten Alternative für Deutschland (AfD).
AfD aufmerksam verfolgt
Auch in den griechischen Medien sei die AfD viel diskutiert worden, sagt Georgiadou, Politikwissenschaftlerin an der Panteion Universität in Athen. Schließlich richte sich die Partei, die aus dem Protest gegen die Eurorettungspolitik der Bundesregierung entstanden ist, ganz explizit gegen Griechenland. "Es ist das erste Mal in langer Zeit, dass eine so extreme Partei in Deutschland diese Sichtbarkeit bei der Wählerschaft gewonnen hat." Sie nimmt damit Bezug auf aktuelle Umfragen, wonach drei bis fünf Prozent der Wähler angeben, die AfD wählen zu wollen. Das beunruhige sie: "Deutschland ist ein Vorreiter in der Europäischen Union, die Deutschen sind überzeugte Europäer - deshalb finde ich es nicht normal, dass solch eine Partei solchen Zuspruch bekommt."
Hassan winkt ab: Es gebe in allen europäischen Ländern euroskeptische Parteien. "Wenn es, vor allem nach der Euro-Krise, in Deutschland nicht so eine Partei gäbe, dann wäre das schon komisch." Der Ägypter setzt auf eine große Koalition von SPD und CDU. Zhen nickt. Georgiadou schüttelt den Kopf: Sie glaubt, dass die FDP genug Stimmen bekommt, um in den Bundestag zu ziehen. Es sei natürlich immer etwas problematisch, Prognosen abzugeben. Aber: "Ich wette, dass sie eine schwarz-gelbe Regierung bekommen."
Ob schwarz-gelb oder doch eine andere Koalition: Die Koalitionsverhandlungen werden alle drei mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.