Siehe: Es ist sehr gut
12. Februar 2021„Siehe, es ist sehr gut“. Mit dieser Bilanz schließt der biblische Schöpfungsbericht, nachdem Gott die Welt erschaffen hatte - durch sein Wort.
Wort und Wunder gehören zusammen, in biblischen Zeiten und heute. Wobei Worte und Sprechen immer zu einer Beziehung gehören. Sie können Gutes bewirken ebenso wie Schlimmes. Manchmal bereiten Worte den Boden für etwas Neues, Staunenswertes. Erst im Rückblick wird oft klar: Im Gespräch wurde ein Same gelegt. Wunderbarerweise keimt er - selbst wenn der Boden steinig und trocken ist.
Wie zum Beispiel in Berlin-Nord-Neukölln. „Siehe, es ist sehr gut“, das würde kaum jemandem einfallen, wenn man diesen kriminalitätsbelasteten Ort beschreiben sollten. Corona tut ein Übriges, um auch manche dort lebende Kinder und Jugendliche auf dumme Gedanken zu bringen.
Wie zum Beispiel die „Neckar-Boys“, wie sie im Polizeijargon heißen, weil sie sich vor allem im verkehrsberuhigten Bereich der Neckarstraße treffen. Tatsächlich tun diese 30 - 40 Kinder und Jugendlichen alles, um Kontrolle von außen zu unterlaufen. Die Bilanz der Straftaten aus dem vergangenen Jahr ist beeindruckend: Sachbeschädigungen, gefährliche Körperverletzungen und auch Raubdelikte. Inzwischen haben sich professionelle Helfer*innen, darunter auch der zuständige Polizeiabschnitt, einiges einfallen lassen, um die Neckar-Boys zu bremsen und gleichzeitig Alternativen anzubieten. Wobei es schwer ist, mit den Kindern und Jugendlichen überhaupt in Kontakt zu kommen. Selbst die Eltern sind oft überfordert.
So wie bei Mohammed*. Wieder einmal erwischen ihn vier Polizeibeamte mit einem Sharing-E-Bike und sprechen ihn an, woher er das Rad denn habe. Der 14jährige ist nicht auf den Mund gefallen: Ein Kumpel habe ihm das Rad geliehen. Die Beamten lassen nicht locker. Mohammed verstrickt sich immer tiefer in seine Ungereimtheiten. Der Ton der Beamten wird schärfer. Mohammed wird immer lauter, irgendwann schreit er. Da greift ein Polizist ein, der bisher geschwiegen hatte: „Mohammed, wir waren auch mal Kinder und haben dummes Zeug gemacht. Für uns ist es anstrengend, wenn Jugendliche denken, sie können uns zum Narren halten. Da musst Du auch uns verstehen, wenn wir immer weiter nachfragen.“ Das scheint zu wirken; Mohammed wird etwas ruhiger. Als die Polizisten den Jungen zu Hause abliefern, spüren sie genau: Die Eltern von Mohammed wissen mit ihrem Jungen nicht mehr weiter.
Gut, dass die Polizisten es nicht bei der Anzeige belassen. Die „Lessinghöhe“ ist ein Jugendtreff, wo auch Mohammed gern hingeht. Es ist derselbe Polizist, der einige Wochen später seine Runde mit einer Feierabendcola dort abschließt. Von der Bar aus sieht er den Neckar-Boys beim Billardspielen zu. Vor allem hört er zu, wie sie reden: Ein abgehacktes Sprachenmischmasch, das für Außenstehende kaum verständlich ist. Welche Chance hat da ein Erwachsener, Kontakt aufzubauen? Selbst wenn er ebenfalls eine Migrationsgeschichte hat und das Thema: Wo gehöre ich hin? aus eigenem Erleben kennt.
Auf einmal löst sich einer aus der Gruppe, kommt an die Bar. Es ist Mohammed. „Sind Sie nicht der Polizist?“ Und tatsächlich: Ein Gespräch entwickelt sich. Beide entdecken ihre Vorliebe für den Kampfsport MMA, Mixed Martial Arts. Sie haben sogar denselben Profikampf ein paar Wochen zuvor gesehen und Mohammed zeigt ihm die Bilder, die er auf seinem Handy gespeichert hat. Einer der Kämpfer imponiert beiden besonders: Ein Muslim aus Dagestan, der ganz offen zu seinem Glauben steht und vor jedem Kampf betet.
Dieses Gespräch haben beide nicht erwartet. Mohammed lächelt ein wenig: „Auf Wiedersehen!“ Als der Polizist ins Freie tritt, atmet er tief durch. In diesem Augenblick war alles sehr gut. Der Same für mehr Vertrauen war gelegt. Ob die Saat aufgeht? Er hofft das Beste.
(* Name geändert)
Pfarrerin Marianne Ludwig, Berlin