Sierens China: Falkenträume
30. Juli 2020Die Eskalationsstufen zwischen den USA und China zünden nun immer schneller. Nach der plakativen Schließung des chinesischen Konsulats in Houston, Texas, vergangene Woche und der darauf folgenden Schließung einer US-Vertretung in der westchinesischen Metropole Chengdu hat US-Außenminister Mike Pompeo einen aggressiven Ton angeschlagen, den man so in den amerikanisch-chinesischen Beziehungen seit gut 40 Jahren nicht gehört hat.
"Wenn wir jetzt in die Knie gehen, so könnten unsere Kindeskinder der Gnade der Kommunistischen Partei Chinas ausgeliefert sein", erklärte der frühere CIA-Chef kämpferisch bei einer Rede im kalifornischen Yorba Linda. Die freie Welt müsse über die neue Tyrannei triumphieren: "Wir wollen ein freies 21. Jahrhundert und nicht jenes, von dem Xi Jinping träumt", der an ein "bankrottes totalitäres Regime" glaube. China habe den US-Amerikanern ihr "geistiges Eigentum entrissen", "amerikanische Produktionsketten ausgesaugt" und sie durch "Sklavenarbeit" ersetzt. Dies habe Millionen US-Amerikaner den Job gekostet. "Das kommunistische China agiert schon innerhalb unserer Grenzen." Chinas Armee schütze nicht die Chinesen, sondern wolle vor allem das chinesische Reich vergrößern.
Washington beschwört den außenpolitischen Feind
So hat nicht einmal der republikanische Präsident George Bush nach der blutigen Niederschlagung der Pekinger Protestbewegung 1989 gesprochen. Warum reden Pompeo und Trump jetzt so? Es liegt auf der Hand: China ist heute viel mächtiger. Das Land erwirtschaftet 30 Prozent des Wachstums der Weltwirtschaft. Die USA nur 11 Prozent.
Chinas Regierung lässt sich immer weniger gefallen, während die USA große innenpolitische Probleme haben, die weit über Corona hinausreichen. Die Regierung in Washington versucht nun mit aller Kraft, den außenpolitischen Feind zu beschwören, damit die Menschen angesichts dieser Gefahr zusammenhalten - unter der Führung von von US-Präsident Donald Trump. In knapp 100 Tagen wird in den USA gewählt. Deshalb kann die Gefahr von außen jetzt nicht groß genug sein.
Pompeos hat seine Grundsatzrede nicht zufällig am Geburtsort Richard Nixons gehalten. Die chinesische Auslandsvertretung in Houston, die Pompeo als "Drehkreuz der Spionage und des Diebstahls" bezeichnete, entstand als direkte Folge der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Peking, die Nixon 1972 eingeleitet hatte. 1979 eröffnete diese Vertretung als eines der ersten chinesischen Konsulate in den USA. In seiner Rede sagte Pompeo nun über Nixon, er habe einen "Frankenstein” erschaffen, als er China die Tore zur westlichen Welt geöffnet habe.
Nixon ist lange tot. Er kann sich nicht mehr wehren, aber sein damaliger Sicherheitsberater Henry Kissinger hat schon im vergangenen November betont, dass es im Falle eines zweiten Kalten Krieges keine Gewinner, sondern nur Verlierer geben werde. "Eine Diskussion über unsere beiderseitigen Ziele und der Versuch, unsere Konflikte möglichst zu begrenzen, erscheint mir daher unabdingbar", warnt der 97-jährige.
Mit der Angst vor China wird längst parteiübergreifend Politik gemacht. Obwohl Trump Joe Biden als chinafreundlichen "Beijing Biden" verhöhnt, hat auch der demokratische Präsidentschaftskandidat mittlerweile einen harten Kurs gegenüber China zum zentralen Teil seines Wahlkampfes gemacht. Er nennt Xi Jinping einen "Verbrecher”, weil er Uiguren in Xinjiang einsperrt. Pompeo spricht allerdings anders als Biden von "Konzentrationslagern". Biden wiederum wirft Trump vor, einzig sein Handelsabkommen im Sinn zu haben und dabei die Menschenrechte "völlig zu missachten". Beim Ausbruch der Corona-Pandemie sei er zu nachlässig gegenüber Peking gewesen, und was die Außenpolitik mit China angehe, sei er "völlig strategielos".
Rhetorisches Wettrüsten bei Republikanern und Demokraten
Mehrere Umfragen zeigen, dass Trump tatsächlich keinen Vorsprung mehr hat, wenn es darum geht, welcher Kandidat in den Augen der US-amerikanischen Öffentlichkeit härter mit China ins Gericht geht. Das will Trump ändern. Eine Art rhetorisches Wettrüsten zwischen den Republikanern und den Demokraten in Bezug auf China ist nun entbrannt. Das wird allerdings mit der Wahl zum nächsten US-Präsidenten im November nicht beendet sein. Selbst wenn Joe Biden gewinnen sollte, bleibt der Konflikt zwischen der absteigenden Weltmacht USA und der aufsteigenden Weltmacht China bestehen.
Etliche hochrangige Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas würden es mittlerweile sogar lieber sehen, wenn Trump wiedergewählt wird. Denn dank seiner kurzsichtigen Politik haben sich die USA von vielen ihrer Verbündeten entfremdet und sich aus globalen Institutionen wie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zurückgezogen. Davon profitiert China, das sich so einfacher in internationalen Führungsrollen profilieren kann.
Falls Biden gewinnt, wird er wahrscheinlich versuchen, die Beziehungen zu den traditionellen US-Verbündeten zu kitten und zusammen mit neuen Partnern in Asien multilateralen Druck auf Peking auszuüben - etwas, das der Trump-Regierung trotz Pompeos Aufruf nicht gelingen wird, da sie mit der Aufkündigung von Bündnissen wie dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP), der Pariser Klimaschutzvereinbarung oder dem Atomabkommen mit dem Iran gezeigt hat, wie wenig ihr an internationaler Zusammenarbeit liegt. Außer den Japanern und den Australiern verspürt keine Regierung in Asien großes Verlangen, sich enger an Washington zu binden. Selbst die Inder sind vorsichtig. In Afrika und Südamerika sind die Präferenzen klar: Lieber China als die USA.
China wird sich kaum auf militärische Abenteuer einlassen
Und selbst in Europa ist die Lage uneinheitlich. Auch Angela Merkel, die in der DDR unter dem Kommunismus gelitten hat, mag nicht auf den US-amerikanischen Kurs einschwenken. Der chinesische Außenminister Wang Yi nennt die derzeitige China-Politik der USA eine "McCarthy-artige Paranoia": "Es scheint momentan so, als ob jede chinesische Investition einen politischen Zweck verfolge, jeder Auslandsstudent einen Spionagehintergrund hat und jede Kooperation niedere Hintergedanken." In diesem Punkt würde Merkel ihm wahrscheinlich zustimmen. Bei vielen anderen Themen, zum Beispiel dem Umgang mit Hongkong, den Uiguren oder der Offenheit der chinesischen Märkte, jedoch nicht. Gerade wenn es Problem gäbe, müsse man mehr miteinander reden, lautet ihre Devise.
Nicht einfacher macht die Lage, dass Peking sich immer weniger Kritik gefallen lassen mag an seiner harten Linie im Südchinesischen Meer, in Hongkong und gegenüber dem benachbarten Bhutan sowie am schärferen Ton gegenüber Indien, Australien, Großbritannien und Kanada. Dennoch ist unwahrscheinlich, dass China sich auf militärische Abenteuer einlassen wird. Peking hat zu viel damit zu tun, die Wirtschaft zuhause stabil zu halten. Auch deshalb hält Peking an dem im Januar vereinbarten Phase-1-Abkommen im Handelsstreit fest und will bei der Bekämpfung des Coronavirus nach wie vor mit den USA zusammenarbeiten.
"Solange beide Seiten den Willen haben, werden wir Wege finden, unsere Beziehung aus den Schwierigkeiten herauszumanövrieren und wieder auf den richtigen Weg zu finden", sagt Chinas Außenminister Wang. Immerhin. Pompeo hingegen möchte anscheinend nichts Geringeres als einen Regimewechsel in Peking. Er fordert die "freiheitsliebenden" Chinesen auf, sich gegen ihre Regierung zu wenden. Das wird so schnell nicht passieren. Im Gegenteil: Im globalen Systemkampf verliert die Alternative USA derzeit täglich an Attraktivität bei den Chinesen. Das weiß Peking natürlich. Die hunderte von Menschen, die bei der Schließung des US-Konsulates in Chengdu applaudiert haben, waren sehr wahrscheinlich keine Claqueure. Auch die Chinesen rücken angesichts der Angriffe von außen zusammen.
Außenpolitisch wird Pompeo also mit seiner Rede wenig bewegen. Dass Trumps und Pompeos China-Bashing innenpolitisch Wirkung zeigt, ist indes durchaus möglich.
Unser Kolumnist Frank Sieren lebt seit über zwanzig Jahren in Peking.