So funktioniert ein echter Skandal
7. April 2016Seit Tagen geistert der Panama-Skandal durch die internationale Öffentlichkeit. Ein weltweites Netzwerk von Journalisten hat einen umfangreichen Datensatz über Briefkastenfirmen ausgewertet, die über eine in dem mittelamerikanischen Land ansässige Finanzkanzlei laufen. Die Enthüllungen riefen weltweit Steuerfahnder auf den Plan. Dabei sind Offshore-Geschäfte nicht per se illegal - es sei denn, Briefkastenfirmen werden genutzt, um Steuern zu hinterziehen oder Geld aus verbrecherischen Aktivitäten zu waschen. Belege dafür gibt es bislang noch nicht. Und dennoch: Überall ist von einem Skandal die Rede.
Dabei stellt sich die Frage, was ein Skandal überhaupt ist. In Bamberg im Süden Deutschlands beraten darüber ab Donnerstag Wissenschaftler aus aller Welt auf der angeblich ersten internationalen Skandalogie-Konferenz. Mitorganisiert wird das Treffen von André Haller, Kommunikationswissenschaftler an der Uni Bamberg. Er sagt: "Viele Skandalisierungsversuche laufen ins Leere." Für einen echten Skandal brauche es drei Merkmale: zunächst eine rechtliche oder moralische Grenzüberschreitung. Dann, dass diese öffentlich werde – entweder aufgedeckt oder bewusst öffentlich stattfindend. Und zum Schluss eine öffentliche Empörung. Im Fall der Panama Papers seien die ersten beiden Punkte auf jeden Fall gegeben. Ob die Empörung groß genug ist, werde sich bald zeigen.
Positive Effekte durch Skandale
Nach Einschätzung des Wissenschaftlers gibt es eine Entwicklung, immer öfter und leichtfertiger von einem Skandal zu reden. Passiere das zu oft, trete ein Gewöhnungseffekt ein, so Haller. Die Empörung bleibe irgendwann aus. Zu beobachten gewesen sei dies während der Enthüllungen von Edward Snowden über den US-Geheimdienst NSA. Die mediale Empörung sei viel größer ausgefallen als in der Bevölkerung allgemein. Dabei hätten Skandale eigentlich einen positiven Effekt: "Echte Skandalfälle sind gute Signale für die Gesellschaft, weil sie auf Defekte hinweisen. Wenn sie nicht öffentlich würden, wäre etwas faul."
Anhand der Art von Skandalen lassen sich nach Meinung des Kommunikationsforschers auch Rückschlüsse auf die Gesellschaft ziehen. "Skandale sind auch ein Barometer für die gelebten Werte." So habe es in den 1960er Jahren noch einen großen Aufschrei gegeben, als im Fernsehen nackte Haut gezeigt oder über Abtreibung berichtet wurde. Heutzutage erzeuge dies keinen Skandal mehr. Ob etwas skandalisierungswürdig ist, entscheide auch der kulturelle Hintergrund. In den USA gebe es zum Beispiel einen anderen Umgang mit Politik und Sex als in Europa. Und auch die Medien spielten eine wichtige Rolle. Sie profitieren von der gestiegenen Aufmerksamkeit. Der Boulevard gehe sogar so weit, bewusst zu überzeichnen. "Statt von einem Literaten ist da lieber von einem Skandal-Promi die Rede", sagt Haller.
Einluss sozialer Medien
Auf dem Podium der Skandal-Konferenz wird auch der Hamburger Medienforscher Steffen Burkhardt sitzen. Der 38-Jährige zieht vor allem Verbindungen zum Internet und den sozialen Medien. Wenn sich eine Behauptung virusartig im Netz verbreite, bedeute dies auch, dass die Betroffenen nicht so leicht reagieren könnten wie früher. "Früher hatte man kurz nach Veröffentlichung noch die Möglichkeit, eine Reaktion vorzubereiten. Diese Zeit fehlt heute. Heute muss man schon vorher vorbereitet sein auf den Skandal, um überhaupt eine Chance zu haben, den Vorwürfen angemessen zu begegnen", sagte Burkhardt der Deutschen Presse-Agentur. Auch habe die Gesellschaft "nicht im Ansatz" begriffen, dass durch die digitalen Möglichkeiten jede Person skandalisiert werden könne – egal ob prominent oder nicht.