Veränderte Viertel
4. August 2012Breitet man heute, im Sommer 2012, an einem der Stadtstrände Barcelonas sein Handtuch aus oder düst mit einem Mietfahrrad über die Promenade, ist es nur schwer vorstellbar, dass es hier mal anders aussah. Dass diese lebendige und gastfreundliche Stadt am Mittelmeer in den Achtzigerjahren noch von einer zehnspurigen Autobahn und einer Bahnlinie vom Wasser abgeschnitten war. Dass alle Abwässer der Industriestadt ungeklärt ins Meer geleitet wurden.
"Barcelona hatte alle Stigmata für einen negativen Ort, die man sich vorstellen kann", erinnert sich der Stadtplaner und Architekt Joan Busquets, der im Vorfeld der Olympischen Spiele von 1992 die Stadtplanungsbehörde leitete. Und so formte die Idee, die Stadt dem Meer zu öffnen, eines der Grundelemente des Projekts Barcelona 92. Aus dem Olympischen Dorf wurde ein mittelpreisiges Wohnviertel und ein Modellprojekt für viele andere Wohngebiete entlang des Wassers in Barcelona, die in ähnlicher Weise gebaut und mit der entsprechenden Infrastruktur versorgt wurden. Über Fußgängerbrücken aus Holz, die die heute schmale Stadtautobahn überqueren, gelangt man binnen fünf Minuten an den Strand. Und Bus und Bahn machen das Viertel zentral.
Die Olympiastadt zwischen Hügel und Meer
Den besten Blick auf dieses neue Barcelona am Meer hat, wer mit der Seilbahn vom Wasser in Richtung Haushügel Montjuïc gleitet. Auf seinen alten Hafen ("Port Vell"), der heute einen riesigen Freizeitkomplex beherbergt, auf seine zwei emblematischen Hochhäuser (in dem einen saß die Olympia-Verwaltung) und die golden schimmernde Fisch-Skulptur von Frank Gehry und auch auf Barceloneta, das alte Fischerviertel mit den schmalen Gassen, das vom ganzen Stadtumbau relativ unberührt blieb.
Während das Wasserareal von Einheimischen und Touristen gleichermaßen extrem gut besucht ist, herrscht oben auf dem Hügel eine fast andächtige Stille. Hier steht - neben eindrücklichen Neubauten - das Lluís-Companys-Olympiastadion, das Ende der Zwanzigerjahre eingeweiht wurde. Es war ursprünglich als Hauptstätte für die Olympischen Spiele 1936 vorgesehen, doch die gingen stattdessen an Berlin.
Weg vom Provinz-Image
Als Barcelona dann den Zuschlag für die Spiele 1992 bekam, war klar, dass das symbolträchtige Stadion mit seiner neoklassizistischen Fassade einer der zentralen Orte werden würde. Zwölf Jahre lang lud hier der Fußball-Erstligist Espanyol zu seinen Heimspielen, doch seit 2009 wird nach einem neuen Dauergast für das Elitestadion gesucht. Ob die Touristen, die aus dem offenen Doppeldecker-Bus Fotos machen, noch etwas vom Olympia-Geist spüren, ist fraglich. Aber zweifelsohne haben die Olympischen Spiele aus der Provinzstadt Barcelona eine europäische Metropole gemacht.
Willkommen im berühmten armen Osten der Stadt London
Anders als in Barcelona, wo die Spiele dezentral in vier verschiedenen Arealen stattfanden, setzt man in London darauf, ein einziges Viertel komplett neu zu erschließen: Stratford im East End. Es ist das aktuelle und radikalste Beispiel für den Willen, den Bedürfnissen der Bewohner gerecht zu werden. "Ganz spitz gesehen ist dieses Projekt hier eine Beschleunigung einer Stadtentwicklung. Das Gelände war schon geplant, aber das hätte wahrscheinlich 40 Jahre gedauert. Die Olympischen Spiele sind sozusagen ein Katalysator, der das voran treibt", erklärt Klaus Grewe von der Olympischen Planungsbehörde.
East End, das war seit dem Mittelalter ein stehender Begriff für Galgenberg, Kloake, Sündenpfuhl, für die Slums der Weltstadt. Und nun? Austragungsort für die Olympischen Sommerspiele 2012. Den Zuschlag bekam die Stadt wegen seiner Pläne für eine Ressourcen schonende und nachhaltige Infrastrukturentwicklung. Ein ehemaliges Industriegebiet wurde entmüllt, zwei Millionen Tonnen Erde aufwändig gereinigt und Tausende von Bäumen gepflanzt. Das "Danach" war hier von Anfang an wichtiger als das Sportereignis. Die Stadien werden im Herbst verschwinden oder werden verkleinert wie das Schwimmzentrum von Stararchitektin Zaha Hadid. Oder anderweitig genutzt wie die Basketballhalle, in der demnächst Inder und Pakistani aus der Umgebung ihre Hochzeiten feiern werden.
Das Reizwort Olympia
Doch die Akzeptanz bei der Bevölkerung schwand, umso näher die Eröffnung der Spiele rückte. In den Medien machte der Begriff "Olympia-Lüge" die Runde, ausführlich wurde über Frust, Wut und Zukunftsangst der Anwohner und Geschäftsleute rund um den Olympia-Park berichtet, über Zwangsenteignungen, Mietpreiserhöhungen und Gewinneinbußen durch das angekündigte Verkehrschaos. Über unfaire Konditionen für den Ticketkauf und teure Übertragungsrechte für Public Viewing in der unmittelbaren Nachbarschaft. "Jeder hier hasst Olympia", schimpft ein Graffiti im East End.
Die Spiele werden zeigen, ob sich dieses Image bei den Einheimischen noch korrigieren lässt. Olympia heißt: Ein Großereignis bricht über die Stadt herein - Ausgang ungewiss.
Meilenstein in der Architektur
Ein Olympia-Austragungsort, der besonders viel richtig gemacht und vorgemacht hat, ist München. Die Stadt hat die Olympischen Spiele 1972 dazu genutzt, nachhaltig neue Stadtgebiete zu erschließen.
Trotz des Attentats auf die israelische Mannschaft, das mit München '72 unweigerlich verknüpft ist, dominiert bis heute das Motto der "heiteren" Spiele. Es wurden architektonische Ikonen geschaffen, deren Leichtigkeit dieses Motto grandios verkörperten und die seitdem zu einer der Touristenattraktionen der Stadt geworden sind. Das ehemalige Sportlerinnendorf inmitten des Olympiaparks beherbergt heute Studenten: Wohnen im beliebten Naherholungsgebiet und das mitten in der Stadt - dank Olympia.