Veganes Leben
2. Mai 2011Der Vegane Brunch ist gut besucht. Aus dem Innenraum des Dortmunder Kulturhauses Taranta Babu klingt Tellerklappern und Stimmengewirr, ein kleines Grüppchen hat es sich mit Bierbänken auf dem Trottoir gemütlich gemacht. Marcus ist einer von ihnen. Er hat etwas Interessantes zu essen mitgebracht: einen veganen Mettigel.
"Das sind Reiswaffeln und passierte Tomaten mit ein paar Gewürzen. Ich glaube, das ist ganz gut geworden", glaubt Marcus. Ein richtiger Mettigel besteht aus rohem Schweinehackfleisch gespickt mit Zwiebeln, das Ganze in Form eines Igels. Das Mett ist gewürzt und wird roh auf Brot gegessen. Dieser Partyknüller ist schon für viele Fleischesser eine Zumutung. Dagegen scheint das vegane Imitat ohne tierische Zutaten durchaus zu schmecken: Marcus jedenfalls guckt zufrieden.
Geschmacksverderber Gammelfleisch und Dioxin
Das Publikum ist größtenteils jung und alternativ, Piercings und Tattoos sind überdurchschnittlich oft vorhanden, alle duzen sich. Vegan – das ist für viele eine Lebenseinstellung. Sie schweißt zusammen, grenzt aber auch aus, wie Daniel berichtet, der als Lehrer an einem Dortmunder Gymnasium arbeitet: "Ich habe weniger Probleme mit meinem Schwulsein gehabt, als mit dem Veganer-Sein; man wird als Veganer doch häufiger komisch angeguckt." Er habe jedoch festgestellt, dass vegane Ernährung mittlerweile in der Gesellschaft angekommen sei, zumindest in der Großstadt: "Es gibt doch viele Leute, die sich mit veganem Leben auskennen, man kann beim Bäcker, in der Konditorei, im Supermarkt nach Veganem fragen, und die Leute wissen schon, was das ist."
Als Daniel vor 15 Jahren mit der veganen Ernährung angefangen hat, war das noch anders. Kritik an der Massentierhaltung und Skandale wie Gammelfleisch oder Dioxin haben jedoch immer mehr Menschen dazu gebracht, ihre Ernährung radikal umzustellen. Dieser Trend setzt sich offenbar noch fort: Die Vegane Gesellschaft Deutschland schreibt, dass es bald über eine Million Veganer in Deutschland geben wird.
Auch ein Steak ohne Fleisch kann Biss haben
Kim Kalkowski ist 26 Jahre alt, üppig tätowiert und gepierced. Sie betreibt zusammen mit ihrem Partner den ersten veganen Supermarkt Deutschlands mit angrenzendem veganen Café in Dortmund. Hier gibt es nicht nur milchlosen Käse und fleischlose Wurst. Auch Gummibärchen ohne Gelatine oder vegane Tintenfischringe stehen im Regal. Kunden finden hier praktisch alles, was es im normalen Supermarkt auch gibt, nur eben komplett "tierfrei".
Die junge Frau steht vor einem Kühlregal in ihrem Laden und zieht ein eingeschweißtes "Virginia-Steak" heraus. "Das ist mit Pfeffer und Gewürzen paniert, kommt mit einem tollen Raucharoma daher und hat trotzdem einen sehr zarten Biss, so dass man beim Grillen nicht auf Gummi beißen muss", erklärt sie. Das Steak-Imitat ist aus Weizeneiweiß, auch Gluten genannt. "Besonders bei diesem Produkt ist auch noch, dass Haferfaser mit eingearbeitet wird, damit es einen etwas faserigen Biss hat, wie das Original auch."
Laut der Ladenbesitzerin ist es sogar möglich, Hunde und Katzen komplett vegan zu ernähren – das entsprechende Futter steht im Regal. Als Nicht-Veganer fragt man sich dann aber schon, ob das nicht schon ein bisschen zuviel des Guten ist.
Beliebt: Imitate tierischer Produkte
Um im veganen Supermarkt einzukaufen, kommen die Leute aus ganz Deutschland angereist, sagt Kim Kalkowski. Vor sieben Jahren hat alles mit einem veganen Catering angefangen, dann gründete sie einen Onlineshop. Mittlerweile haben sie und ihr Partner 16 Mitarbeiter und ein Warensortiment von über 1800 Produkten. Vor allem Imitate von im Original tierischen Produkten scheinen hoch im Kurs zu stehen. Dieses Phänomen erklärt die Ladenbesitzerin damit, dass viele Menschen aus ethischen Gründen auf Tierisches verzichteten: "Bei diesen Menschen ist es natürlich so, dass sie nicht auf das Fleisch verzichten, weil es ihnen nicht schmeckt, sondern weil sie Tiere nicht essen möchten."
Doch das reine Gewissen, nicht für Legebatterien und Mastbetriebe verantwortlich zu sein, bringt auch Probleme mit sich. Veganer müssen generell mehr darauf achten, alle lebenswichtigen Nährstoffe aufzunehmen. Vor allem den Bedarf an Vitamin B12, welches in tierischen Produkten vorkommt, kann man durch eine rein pflanzliche Ernährung schwer decken. Auch beim veganen Brunch ist Vitamin B12 Thema. Der Dortmunder Lehrer Daniel: "Ich war vor zwei Jahren einmal kurz in der Klinik, weil es mir schlecht ging, und da habe ich zum ersten Mal seit zehn Jahren Blut abnehmen lassen. Es wurde eine erhebliche Blutarmut festgestellt", erzählt Daniel. Seither nimmt er jeden Tag eine Vitamin-B12-Tablette zu sich. Diesen Preis zahlt er jedoch gerne, um seinen Lebensstil weiter so führen zu können.
Autorin: Sola Hülsewig
Redaktion: Silke Wünsch