Später Prozess
3. Juli 2011In seiner mehr als drei Jahrzehnte langen Anwaltstätigkeit hat Pablo Miguel Jacoby schon manche Prozesse um Staatsterrorismus und Menschenrechtsverletzungen bestritten. Doch die derzeitige Rolle ist für ihn neu: Jacoby vertritt seit Februar vergangenen Jahres Deutschland als Nebenkläger in einem Prozess gegen frühere Offiziere und Wachleute des Konzentrationslagers "El Vesubio", eines Folterzentrums der einstigen argentinischen Militärdiktatur. Das Gerichtsverfahren, nur eines von vielen zur Aufarbeitung der Verbrechen in den Jahren zwischen 1976 und 1983, nähert sich seinem Ende. Noch Anfang Juli, so vermutet Anwalt Jacoby, werden die drei Richter das Urteil sprechen, ein genaues Datum stehe allerdings noch nicht fest.
Dann könnten auch Verschleppung, Misshandlung und Tod der deutschen Studentin Elisabeth Käsemann im Jahr 1977 für einige ihrer Mörder und Folterer endlich spürbare Konsequenzen haben. Pablo Jacoby ist überzeugt, dass es in der monatelangen mündlichen Verhandlung vor der vierten Kammer des Bundesgerichts in Buenos Aires gelungen ist, die Schuld von zwei hohen Militärs und fünf Wärtern des Konzentrationslagers nachzuweisen: "Mehrere Zeugen haben ausgesagt, dass sie Elisabeth in El Vesubio gesehen und mit ihr gesprochen haben." Es gibt auch Dokumente der Geheimpolizei von Buenos Aires aus jener Zeit und jede Menge Indizien.
Deutschland fordert "lebenslänglich"
Deutschlands Nebenklagevertreter hat deshalb im April für den 85-jährigen General Héctor Humberto Gamen und für den 76-jährigen Oberst Pedro Alberto Durán Sáenz, beide damals im Ruhestand und auf freiem Fuß, lebenslängliche Haft gefordert. Fünf Aufpasser des einstigen geheimen Internierungslagers sollen wegen des Falles Käsemann zwischen 11 und 21 Jahre ins Gefängnis.
Doch ausgerechnet Pablo Durán Saénz, den als grausamen Folterer und Vergewaltiger beschriebenen früheren Lagerchef von "El Vesubio", wird das Urteil nicht mehr erreichen: Er starb Anfang Juni an einer Lungenkrankheit. "Uns bleibt der bittere Geschmack, dass er ungestraft lebte und die Justiz spät, zu spät kam", erklärte der Opferverband H.I.J.O.S., in dem sich zahlreiche Überlebende von "El Vesubio" organisiert haben. Auch die anderen Angeklagten und Zeugen sind mittlerweile betagt, eine Hauptbelastungszeugin starb während des Prozesses.
Eine 1989 erlassenen Amnestie, die erst 2003 von Präsident Néstor Kirchner aufgehoben wurde, hatte in Argentinien für viele Jahre Strafverfolgung der Militärs verhindert, unter deren Herrschaft von 1976 bis 1983 schätzungsweise 30.000 Menschen umgebracht wurden oder spurlos verschwanden. Auch die Staatsanwaltschaft Nürnberg hatte 2001 vergeblich die Auslieferung von Durán Sáenz verlangt.
Gefährliche Hilfe für Verfolgte
Von den etwa 100 deutschen Opfern der argentinischen Militärjunta ist Elisabeth Käsemanns Fall der bekannteste und am besten dokumentierte. Die Soziologiestudentin an der Berliner Freien Universität war 1968 zu einem Praktikum nach Bolivien gereist, hatte später in einem Sozialprojekt in der argentinischen Hauptstadt gearbeitet und sich in linken Organisationen engagiert. Nach dem Putsch gehörte sie zu einem Untergrund-Netzwerk, das von der Militärjunta verfolgten Personen bei der Ausreise half. Anfang März 1977 wurde sie verschleppt, ebenso wie ihre Freundin, die englische Theologiestudentin Diana Austin, die wenig später jedoch wieder freigelassen wurde. Diana Austin, die heute in den USA lebt, sagte im Prozess per Videokonferenz aus New York aus. Sie hörte in der Haft die Schreie ihrer gefolterten Gefährtin und informierte nach ihrer Entlassung deren Eltern in Deutschland.
Für Elisabeth Käsemanns Bruder Ullrich ist Diana Austins Freilassung bis heute ein Beweis, dass sich deren Botschaft für ihre Bürgerin eingesetzt habe, während deutsche Beamte im Falle seiner Schwester damals "eine Aufklärung hintertrieben" hätten. Besonders skandalös sei ein Telex vom 31. März 1977, in dem die deutsche Botschaft aus Buenos Aires den besorgten Angehörigen mitteile, eine "Dame Käsemann" sei in Argentinien seit acht Jahren nicht bekannt und auch nicht gemeldet, obwohl sich Elisabeth Käsemann gut ein Jahr zuvor in der deutschen Vertretung einen neuen Pass ausstellen habe lassen.
Schüsse in den Rücken
Über das weitere tragische Schicksal der Soziologin in jenem Jahr berichtete Nebenkläger Jacoby vor dem Gericht in Buenos Aires: "Sie wurde wie die anderen Gefangenen geschlagen und misshandelt und in der Nacht vom 23. zum 24. Mai 1977, nachdem sie ihre Gefangenenkleidung gegen Zivil tauschen musste, gefesselt und mit einer Kapuze über dem Kopf gemeinsam mit 15 anderen Häftlingen nach Monte Grande, einen Vorort von Buenos Aires, gebracht. Dort ermordete man sie am Morgen des 24. Mai durch Schüsse aus nächster Nähe in den Nacken und Rücken."
Das argentinische Militär informierte tags darauf offiziell über ein angebliches "Feuergefecht mit linken Terroristen", eine Version, die auch in deutschen Medien aufgegriffen wurde. Elisabeth Käsemanns Vater, ein bekannter Theologieprofessor aus Tübingen, konnte später den Leichnam seiner Tochter gegen Zahlung von über 20.000 US-Dollar nach Deutschland holen und hier untersuchen lassen: Vier Einschüsse in den Rücken, einer in den Nacken wurden festgestellt.
Ernst Käsemann fasste später seine Erfahrungen bei der Suche nach seiner Tochter in bitteren Worten zusammen: Die Diplomatie kümmere sich eher um kommerzielle Interessen als um Menschenrechte, ein verkaufter Mercedes wiege "zweifellos mehr als ein Leben".
Bekenntnis zur Aufarbeitung
Auf eine parlamentarische Anfrage der Linken vom Oktober 2010 zu den Fällen von verschwundenen Deutscher in Argentinien antwortete das Auswärtige Amt unter anderem: "Die Bewertung des Handelns der Bundesregierung vor 30 Jahren ist nicht Aufgabe der heutigen Bundesregierung." Dies sei Historikern und Politologen vorbehalten. Man habe durch Handeln über die letzten Jahre hinweg deutlich gemacht, dass "die Aufarbeitung der Militärdiktatur ein wichtiges Anliegen" sei.
Tatsächlich ist Deutschland in den laufenden Verfahren gegen die Mörder in Uniform der einzige Staat, der Nebenklage erhoben hat. Der beauftragte Anwalt Pablo Jacoby sieht darin ein "positives Beispiel im Sinne einer universellen Justiz", das auch andere Länder übernehmen könnten. Dass die beiden im Fall Käsemann angeklagten hohen Militärs tatsächlich bald hinter Gitter kommen, bezweifelt er allerdings. Selbst bei einem Schuldspruch Anfang Juli würden sie wohl Revision einlegen und weiter auf freiem Fuß bleiben, weil keine Flucht- oder Verdunkelungsgefahr bestehe.
Autor: Bernd Gräßler
Redaktion: Nicole Scherschun