Finanzminister will beim Rentenalter nachjustieren
21. April 2016Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) will die Sache mit der Rente flexibler handhaben. Statt starrer Altersgrenzen, ab der Menschen mit 63, 65 oder 67 in den Ruhestand gehen, empfiehlt er mehr Flexibilität. Allgemein in den Köpfen und ganz konkret bei den gesetzlichen Rentenregeln. Es mache relativ viel Sinn, so Schäuble am Mittwochabend in Berlin, die Lebensarbeitszeit und die Lebenserwartung in einen fast automatischen Zusammenhang zu bringen. "Wir müssen uns auf die demografische Entwicklung vorbereiten", begründete Schäuble seinen Vorstoß. Es gelte, die Kosten für Gesundheitssystem, Rente und Pflege auf die steigende Anzahl von Rentnern und die sinkende Zahl von Erwerbstätigen vorzubereiten. Die zu beobachtende Kostenexplosion in den deutschen Sozialsystemen, meint Schäuble, dürfe nicht tabuisiert werden. Derzeit bezieht rund ein Viertel aller Deutschen Rente, das sind über 20 Millionen potentielle Wähler.
OECD-Experten plädieren für späteren Renteneintritt
Würde Schäubles Vorschlag weiter verfolgt, hätte das Konsequenzen. Viele Deutsche müssten deutlich länger im Arbeitsleben bleiben, um eine adäquate staatliche Rente erwarten zu können. Ein Trend, der in vielen Ländern Europas längst in Gesetze und Rentenreformen gefasst wurde. In Dänemark soll das Renteneintrittsalter bis 2060 schrittweise auf 72,5 Jahre erhöht werden, in Italien auf immerhin 70 Jahre, in Tschechien auf 69,5 Jahre. Deutschland ist vorsichtiger. Hier soll die Rente im Jahr 2030 im Regelfall mit 67 beginnen. Eine weitere Anhebung des Renteneintritts ist bislang nicht geplant. Ein Fehler, findet Wolfgang Schäuble und erntet dafür viel Applaus von den Experten der Industrieländer-Organisation OECD. Die vergleicht regelmäßig die Sozialsysteme führender Industrienationen und hat in ihrem "Wirtschaftsbericht Deutschland" im April festgestellt: "In etwa der Hälfte der OECD-Länder besteht eine automatische Verbindung zwischen Rentenansprüchen und Lebenserwartung", heißt es in dem Bericht, der - wie Schäuble - für die Neugestaltung eines "Nachhaltigkeitsfaktors" in der Rentenformel plädiert.
Gründe für so eine Flexibilisierung gebe es genug: "Die Bevölkerung altert in Deutschland früher als in den meisten anderen OECD-Volkswirtschaften und das höhere Alter wird deutlich ausfallen." Die OECD schätzt, dass es 2060 bis zu 15 Millionen Deutsche weniger geben wird. Damit gäbe es auch deutlich weniger Renten-Beitragszahler. Daraus folgern die Statistiker, dass das Rentenalter weiter erhöht werden muss – um das Rentenniveau für den Einzelnen nicht deutlich absenken zu müssen. Geschehe nichts, könnten die Rentenausgaben bis 2060 um mindestens 2,5 Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung steigen, lautet das Schreckensszenario der OECD-Ökonomen.
Wagenknecht: "Schäuble plant neuen Rentenklau"
Minister Schäuble fühlt sich von den OECD-Experten in ganzer Linie bestätigt und glaubt, es müsse gehandelt werden. Dafür bleibt ihm Kritik nicht erspart. Selbst seine eigene Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD bremst den Minister aus. Der Fraktionsvorsitzende der Union, Volker Kauder, nannte das Timing des Ministers für seinen Vorstoß "ein bisschen eigenartig". Gerade habe es ja die größte Rentenerhöhung seit der Wiedervereinigung gegeben, so Kauder. Und aus dem Haus des sozialdemokratisch geführten Arbeitsministeriums hieß es stellvertretend für Ministerin Andrea Nahles: "Das ist kein abgestimmter Vorschlag der Bundesregierung".
Für die SPD, den kleineren der beiden Regierungspartner, kommt die Debatte um eine Erhöhung des Rentenalters zur Unzeit. Auch dort sorgt man sich um die Rente, aber aus vornehmlich anderem Grund. Mit Verweis auf Veröffentlichungen, die eine starke Zunahme der Altersarmut prognostizieren, kündigte SPD-Chef Sigmar Gabriel an, den Kampf gegen das Absinken kleiner Renten zum Wahlkampfthema zu machen. Am Rentenalter feilen, kommt da ungelegen.
Weniger zimperlich ging die Opposition mit Schäubles Gedankenspielen um. Die Fraktionsvorsitzende der Linkspartei, Sarah Wagenknecht, ließ über die Nachrichtenagenturen verbreiten: "Schäuble plant neuen Rentenklau". Seine Forderung, die Lebensarbeitszeit deutlich jenseits der 67 auszudehnen, gehe an der Lebenswirklichkeit vorbei, so die Politikerin der Linkspartei. "Wer arm ist, stirbt früher und wer einen harten Job hat, kann nicht bis 70 arbeiten", kommentiert Wagenknecht das, was sie dann mit "Rentenklau" überschreibt.
Junge Union: Rente mit 70 wäre gerade richtig
Minister Schäuble scheint mit seinem Vorstoß für ein längeres Arbeiten in ein Wespennest gestochen zu haben. Schrille Töne, wohin man blickt. Überflügelt wird der CDU-Minister nur von seiner eigenen Jugendorganisation – der Jungen Union.(JU) Die geht noch weiter und fordert die schrittweise Anhebung des Renteneintritts auf 70 Jahre. Damit beginnen möchte die JU ab dem Jahr 2030. "Um das Rentenniveau künftig nicht so weit absenken zu müssen, dass immer weniger Menschen davon leben können, sollten wir das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung koppeln", sagte der JU-Vorsitzende Paul Ziemiak der "Rheinischen Post".
Damit ist die Debatte da angekommen, wo sie Minister Schäuble nach eigenen Worten nicht haben wollte. Statt über Flexibilisierung zu debattieren, arbeiten sich Kritiker wie Befürworter von Schäuble an konkreten Altersschwellen ab. Dabei sehen die OECD-Ökonomen in ihrem jüngsten Bericht gute Gründe, nicht über starre Grenzen, sondern über die gelebte Realität des deutschen Rentensystems zu sprechen. Dazu gehöre, dass derzeit in Deutschland unterdurchschnittlich wenige ältere Menschen noch arbeiten würden. "Die Beschäftigungsquote der 65- bis 74-Jährigen liegt weiterhin deutlich unter dem OECD-Durchschnitt", heißt es in dem Bericht. Während die Erwerbsquote dieser Altersgruppe in Südkorea bei nahezu 40 Prozent liegt, arbeiten in Deutschland ab 65 weniger als zehn Prozent. Die Empfehlung lautet, das norwegische Rentenmodell als Blaupause für Deutschland zu übernehmen. Hier gilt: Rentenleistungen und neues Arbeitseinkommen können ohne Abzüge uneingeschränkt vom Einzelnen kombiniert werden. Das sorgte in Norwegen für einen wahren Job-Boom unter Rentnern und biete auch für Deutschland Chancen, so die Ökonomen.