Textilarbeiter sind das Warten leid
24. September 2013Mehr als 200.000 Textilarbeiter haben in den vergangenen Tagen in Bangladesch gewaltsam für einen höheren Mindestlohn protestiert. Hunderte Fabriken mussten nach Polizeiangaben geschlossen werden, um Angriffen der wütenden Demonstranten zu entgehen. Zehntausende Arbeiter zündeten Fabriken an und lieferten sich Straßenschlachten mit der Polizei. Etwa 50 Menschen sollen bei den Auseinandersetzungen verletzt worden sein.
"Bescheidene Forderung"
Die Textilarbeiter in Bangladesch gehören zu den am niedrigsten bezahlten der Welt. Die meisten erhalten den Mindestlohn, der 2010 nach wochenlangen Protesten auf umgerechnet knapp 30 Euro (3000 Taka) monatlich angehoben worden war. Die Textilarbeiter verlangen nun eine Erhöhung auf umgerechnet 75 Euro (8000 Taka). Wirtschaftswissenschaftler Shapan Adnan aus Dhaka hält diese Forderung angesichts der hohen Lebenshaltungskosten für bescheiden: "Laut einer aktuellen Studie müssten einer vierköpfigen Familie mindestens 182 Euro (19.000 Taka) im Monat zur Verfügung stehen - damit könnte sie gerade eben überleben." Der Verband der Fabrikbesitzer bietet jedoch lediglich 34 Euro (3600 Taka) Mindestlohn an. Die Arbeitgeber argumentieren mit der schlechten Lage der Weltwirtschaft.
Eine Regierungskommission prüft die Forderung der Textilarbeiter. Wirtschaftsexperte Adnan erwartet jedoch wenig von der Regierung in Dhaka. "Es ist egal, wer gerade an der Macht ist. Die meisten Parteien werden von Abgeordneten vertreten, die selbst Textilfabriken besitzen. Mit anderen Worten: jede Regierung wird sich eindeutig auf die Arbeitgeberseite stellen. Ich sehe nicht, dass Druck von der jetzigen Regierung auf die Arbeitgeber ausgeübt wird, damit die Arbeiter einen angemessenen Lohn bekommen."
Proteste werden heftiger
Immer wieder kommt es in Bangladesch zu Protesten gegen Niedriglöhne und schlechte Arbeitsbedingungen in der Textilbranche. Unzureichende Sicherheitsstandards in den Fabriken und die mangelnde Bereitschaft der Arbeitgeber, die Situation zu verbessern, beeinträchtigen jedoch die Entwicklung dieses Sektors. Seit dem Einsturz des Fabrikgebäudes Rana Plaza mit mehr als 1100 Toten im April sind die Demonstrationen heftiger geworden. Die jüngsten Proteste seien die gewaltsamsten seit 2010, sagte ein Vertreter der Fabrikbesitzer gegenüber der Nachrichtenagentur Agence France Press.
Nach dem verheerenden Zusammenbruch der Fabrik im Rana Plaza Gebäude in einem Vorort von Dhaka warten die Angehörigen der Opfer auf Entschädigungszahlungen. Dass sie bisher ausblieben, sorgt für zusätzlichen Frust unter den Textilarbeiten. Zwar will die global agierende Gewerkschaft 'IndustriALL' zusammen mit der internationalen Kampagne für Saubere Kleidung (Clean Clothes Campaign) einen Entschädigungsfond auflegen, in den rund 56 Millionen Euro fließen sollen. Doch die zweitägigen Gespräche, zu denen die Gewerkschaft internationale Marken- und Zulieferfirmen sowie Behörden- und Arbeitnehmervertreter kürzlich nach Genf eingeladen hatte, scheiterten an mangelnder Teilnahme. Nur neun der 28 internationalen Textilfirmen, die in den Rana-Plaza Fabriken Textilien produzieren ließen, erschienen zu den Verhandlungen.
Wirtschaftliche Perspektive der Branche
Nach China ist Bangladesch der zweitgrößte Produzent von Textilien weltweit. Die rund 4500 Fabriken im Lande produzieren rund 80 Prozent aller Exporte des Landes. Deren Wert beläuft sich auf rund 20 Milliarden Euro jährlich. Atiqul Islam, Präsident von Bangladeschs Textilherstellerverband (BGMEA) äußert sich vorsichtig auf die Frage der Deutschen Welle nach der internationalen Entschädigungsinitiative zugunsten der Opfer von Rana Plaza. Sein Interesse gilt vor allem den wirtschaftlichen Aussichten seiner Branche.
"Nach dem verheerenden Unfall in Rana Plaza war die internationale Aufmerksamkeit groß. Die Kunden wollten zunächst vermeiden, weiter Textilartikel aus Bangladesch zu kaufen. Ich habe alle Großkunden gebeten, die Geschäftsbeziehungen nicht einzustellen." Islam fürchtete den Verlust von Aufträgen aus dem Ausland. Die Konsequenzen wären folgenschwer gewesen: "Ohne Aufträge wären viele Firmen zusammengebrochen und wir hätten hier Massenarbeitslosigkeit." Nach der Katastrophe hätten die europäischen und nordamerikanischen Großkunden jedoch zugesichert, dass sie weiterhin aus Bangladesch Waren einführen würden", fügt er erleichtert hinzu. Auf die internationale Entschädigungsinitiative der Kunden angesprochen, antwortet Atiqul Islam diplomatisch: Er wolle noch mal mit den internationalen Unternehmen das Gespräch suchen und sie nach ihren Plänen fragen. Erst dann könne er dazu Stellung nehmen.