Kohle-Frage lähmt deutsche Klimapolitik
29. November 2018Bester Laune präsentiert sich die deutsche Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Donnerstag im Bundestag. Dabei wäre es nicht verwunderlich, wenn das anders wäre. Am kommenden Montag schon fährt die Ministerin zum Auftakt der UN-Klimakonferenz nach Kattowitz in Polen. Dort wird sie sich wohl einigen kritischen Fragen vor allem der ärmeren der 190 UN-Staaten stellen müssen, denn der frühere Klima-Vorreiter Deutschland schwächelt: Das ehrgeizige Ziel, 40 Prozent an Klimagasen bis zum Jahr 2020 einzusparen, verfehlt die Regierung.
Anders als geplant kann die Ministerin auch kein Datum nennen, wann denn Deutschland die Klima-schädliche Braunkohle-Produktion einstellt. Die dafür zuständige Experten-Kommission ist schlicht nicht rechtzeitig mit der Arbeit fertig geworden.
Im Januar soll feststehen, wann Deutschland aus der Braunkohle aussteigt: schon in gut zehn Jahren oder doch wesentlich später? Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Anton Hofreiter, fasst das im Parlament so zusammen: "Diese Bundesregierung hat den Weg zu dieser Klimakonferenz sauber verstolpert."
Schulze: Klimawandel auch in Deutschland spürbar
Schulze lässt sich trotzdem nichts anmerken. Sie stellt noch einmal fest, wie greifbar die Folgen des Klimawandels weltweit sind: "In den vergangenen Wochen sind im Zuge von Waldbränden ganze Ortschaften in Kalifornien abgebrannt. Die schweren Unwetter in Italien dieser Tage haben mehrere Todesopfer gefordert. In Deutschland haben wir den Dürre-Sommer hinter uns. Und auch bei uns geraten die Wälder unter Druck."
Schlechte Nachrichten aus Brasilien
Die Debatte im Bundestag findet statt an einem Tag, an dem die Wetterorganisation der Vereinten Nationen erneut einen dringenden Appell an die Staaten richtet: Momentan schaffe es die Menschheit nicht, den Treibhauseffekt wirklich einzudämmen. Falls der Trend sich fortsetze, drohten Temperatur-Steigerungen um drei bis fünf Grad Celsius zum Ende des Jahrhunderts gegenüber heute. Experten hatten eine Begrenzung auf höchstens zwei Grad gefordert, besser noch nur 1,5 Grad.
Am selben Tag verdeutlicht eine andere Meldung, wie unpopulär der Kampf gegen die Klimagase in vielen Ländern der Welt zur Zeit ist. Die neue, nationalistische Regierung Brasiliens hat verkündet: Sie richtet anders als zunächst gedacht die Klimakonferenz der UN im nächsten Jahr nicht aus: Keine Lust auf Klimaschutz im Amazonas-Land. Ein schlechtes Signal für die Konferenz auch in Kattowitz.
Höhere Emissionen als China und Indien - pro Kopf
Mit Ausnahme der Rechtspopulisten von der "Alternative für Deutschland" (AfD) gibt es im Deutschen Bundestag immerhin einen Konsens: Der Klimawandel muss dringend bekämpft werden. Allerdings liegen die Ansichten, wie man das am besten macht, weit auseinander. Die Ministerin betont, trotz aller Anstrengungen, die Erneuerbaren Energien in Deutschland voran zu bringen, seien die Emmissionen immer noch zu hoch: "Deutschland ist in absoluten Zahlen der weltweit sechstgrößte Emittent von Treibhausgasen. Auch bei den Pro-Kopf-Emissionen liegt Deutschland weit vorne, bei knapp neun Tonnen pro Jahr und damit auf Platz zwölf - noch vor China und Indien", sagt Schulze.
Die alles entscheidende Kohle-Frage
Das kann man aber auch anders sehen. Der FDP-Abgeordnete Frank Sitta rechnet vor: Deutschland ist für gerade einmal 2,37 Prozent der weltweiten Klimagase verantwortlich: "Wir würden am Klimawandel praktisch nichts ändern, wenn wir morgen alle wirtschaftliche Aktivität einstellen. Da hilft es denn auch nicht, wenn man ganz fest daran glaubt."
Zwar haben auch Vertreter der Grünen nicht gefordert, alle wirtschaftlichen Aktivitäten einzustellen, aber die Kritik richtet sich dennoch an ihre Adresse: In der Kommission, die den Ausstieg aus der Kohle regeln soll, sind vor allem die Grünen zusammen mit Umweltgruppen für einen raschen Ausstieg. Vertreter der ostdeutschen Bundesländer mit Braunkohle-Betrieben fürchten einen massiven Verlust an Arbeitsplätzen und ein Erstarken der Rechtspopulisten als Folge. Die Kohle-Frage lähmt zur Zeit die deutsche Klimapolitik, das macht diese Debatte erneut deutlich.
1,5 Milliarden Euro für Klima-Projekte
Auch die CSU warnt vor zu ehrgeizigen nationalen Klima-Zielen. Die Abgeordnete der Konservativen, Anja Weisgerber, sagt: "Klima-Politik nur aus der nationales Brille zu betrachten, das ist nicht unsere Politik. Auch die Entwicklungs - und Schwellenländer haben sich eigene Ziele gesetzt, die sie selbst erreichen wollen."
Für diese Staaten immerhin will Berlin jetzt mehr tun: Deutschland verdoppelt noch vor der Konferenz in Polen seinen Anteil am grünen Klima-Fond, der unter dem Dach der Vereinten Nationen Gelder an ärmere Länder verteilt, auf nun 1,5 Milliarden Euro. Darauf weist in der Debatte stolz Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) hin. Immerhin etwas, was die Regierung mit nach Polen nehmen kann.
Die Populisten und der Klimaschutz
Bei allem Konsens der meisten Abgeordneten: Rechtspopulisten wie in Brasilien gibt es im Bundestag auch. Nach Auffassung der AfD irren sich die vielen tausend Klimawissenschaftler in der ganzen Welt: Zwar gebe es eine Temperaturerhöhung, aber der Mensch mit seiner Produktionsweise sei daran nicht schuld, sagt der Abgeordnete Karsten Hilse: "Es gibt keinen einzigen wissenschaftlichen Beweis, gar nichts."
Mit Populisten, die nichts vom Kampf gegen die Klimagase halten, wird Ministerin Svenja Schulze auch in Kattowitz konfrontiert: Mit den Regierungen aus Australien, Brasilien oder auch Italien ist derzeit wenig Fortschritt möglich, trotz aller Warnungen der Wissenschaftler.