Human Development Report 2011
3. November 2011Es ist das vorläufige Ende einer mehr als zwei Millionen Jahre zurückreichenden Geschichte. Und es ist erstaunlich simpel, was dort im Britischen Museum in London in der Reihe "Die Geschichte der Welt in 100 Objekten" als letztes Objekt menschlicher Evolution zu bewundern ist. Objekt 100 ist eine billige Plastik-Anwendung, eine handgroße Silizium-Solarzelle auf einem Plastikbrett, verbunden über einen Draht mit einer kleinen Plastikleuchte. Auch für Eva Jespersen, stellvertretende Leiterin des UN-Büros für den "Human Development Report", ist das keine technische Sensation mehr. Aber gerade deswegen ist es eine große Chance für 1,5 Milliarden Menschen auf der Welt, die noch immer ohne Energie leben müssen. "Diese beiden Plastiksachen, so groß wie eine Kaffeetasse, bringen Licht und Energie in abgelegene Häuser", erklärt Jespersen. "Acht Stunden Sonnenergie bringen 100 Stunden Lampenlicht, das macht Schularbeit möglich, so können Mobiltelefone aufgeladen werden und so kann viel Geld und viel Brennstoff eingespart werden."
Damit erscheint erstmals eine dezentrale, erneuerbare Energieversorgung von 1,5 Milliarden Menschen möglich, so das Credo der UN-Initiative für Energie für alle bis zum Jahr 2030. Die UN-Statistiker rechnen vor, dass eine vollständige, erneuerbare Energieversorgung der Ärmsten weniger als ein Achtel der Summe kosten dürfte, die heute als Subventionen für fossile Brennstoffe ausgegeben werden. Und der Clou dabei ist: Das würde die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen gerade einmal um 0,8 Prozent steigen lassen.
Mehr Umweltrisiken lassen die soziale Ungerechtigkeit steigen
Doch noch ist all das Zukunftsmusik, während der in Berlin und Kopenhagen am Mittwoch (02.11.2011) gleichzeitig vorgestellte UN-Bericht zur menschlichen Entwicklung 2011 ein statistisches Spiegelbild der Realität darstellt. Und diese Realität der 187 untersuchten Länder und Gebiete ist geprägt von einer zunehmenden Verschärfung der Klima-Ungerechtigkeit zwischen Nord und Süd, sagt der neueste "Human Development Report", herausgegeben vom Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP). Ausgedrückt wird das im sogenannten "Human-Development-Index", der die jährlichen Fortschritte einzelner Länder bei Bildung, Gesundheit und Einkommen in einem Länder-Ranking darstellt. Wer oben rangiert, wer unten steht - das ist zunächst nicht die eigentliche Überraschung. Norwegen, Australien und die Niederlande liegen bei Bildung, Gesundheit und Einkommen ganz vorne. Die letzten zehn Länder der Rangliste 2011 liegen alle im südlichen Afrika. Die Schlusslichter des UN-Index sind die Demokratische Republik Kongo, Niger und Burundi. Gerade am unteren Ende gab es - im Rückblick der letzten 20-Ausgaben des Reports – wenig Bewegung. Nur bei Kuba, Venezuela und Tansania ging es in den vergangenen fünf Jahren teilweise deutlich bergauf.
Was dagegen selbst die erfahrene UN-Statistikerin Eva Jespersen beinahe sprachlos macht, ist die mehr und mehr sichtbare Verknüpfung zwischen ökologischer Nachhaltigkeit, sozialer Gerechtigkeit und den Entwicklungschancen für die Ärmsten: "Von den 1,6 Milliarden Ärmsten nutzen beinahe 90 Prozent fossile Brennstoffe zum Kochen, die ihre Raumluft vergiften, was dazu führt, dass gerade in den ärmsten Staaten des Human-Development-Index elf Mal mehr Menschen an den Folgen der Vergiftungen sterben als in anderen Staaten", sagt Eva Jespersen.
Dazu komme, dass 60 Prozent der Länder am unteren Ende des Entwicklungs-Indexes keinen Zugang zu sauberem Wasser hätten. Entwicklung werde es am unteren Ende des Indexes daher nur geben, sagte der frühere deutsche Entwicklungsminister Erhard Eppler bei der Vorstellung des Reports, wenn Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit sich in Zukunft ergänzten. Gerade der Einsatz erneuerbarer Energien im südlichen Afrika sei hierfür der Schlüssel. "Dadurch haben die Menschen selber eine Chance, müssen nicht warten, bis irgendwann einmal eine Stromleitung von einem riesigen Kraftwerk gelegt wird, sondern sie können sich zusammentun, um sich ihre Stromversorgung kommunal oder genossenschaftlich zu organisieren."
Die Suche nach Klimagerechtigkeit als nächstes Paradigma
Behalten die derzeitigen Prognosen der UN-Statistiker dagegen Recht, dann werden bis 2050 gerade die ohnehin benachteiligten Menschen eine doppelte Last tragen. Beim UN-Entwicklungsprogramm befürchtet man, dass zunehmenden Kosten zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels die Abwärtsspirale der Armut noch befeuern. Auch Erhard Eppler stimmt da zu. "Gerade die Leute, denen das Geld fehlt um sich bei den hohen Nahrungsmittelpreisen Reis, Mais oder Hirse zu kaufen, das sind dieselben, die keinen Strom und kein sauberes Wasser haben." Zwar seien in 120 Ländern weltweit Umweltnormen sogar in den staatlichen Verfassungen verankert, doch nur in einem Bruchteil der Gesellschaften werde das auch in der politischen Praxis gelebt.
Die Schlussfolgerung des UN-Entwicklungsberichts 2011: Um die fehlende Nachhaltigkeit zu erreichen, die bestehenden Ungleichheiten zu überwinden und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu leisten, braucht die Entwicklungszusammenarbeit neue Einnahmequellen. So würde von der gegenwärtigen öffentlichen Entwicklungshilfe nur ein Bruchteil der Ausgaben finanziert, die als Minimalbedarf zur Klima-Anpassung veranschlagt würden, folgert der Bericht. Bei den Ausgaben zur Umstellung auf kohlenstoffarme Energiequellen seien das gerade einmal 1,6 Prozent der Bedarfsschätzung, bei den Ausgaben für Klimaschutz nur etwa 11 Prozent der notwendigen Mittel.
Eine eklatante Finanzierungslücke, dabei sei die Gelegenheit für neue finanzielle Mittel für eine Entwicklungsrevolution noch nie so gut gewesen wie derzeit, sagt UN-Statistikerin Eva Jespersen. Denn seit die Weltfinanzmärkte in Aufruhr sind, sei die Idee einer weltweiten Besteuerung von Finanztransaktionen salonfähig geworden. Mit der Unterstützung von Ländern wie Deutschland, Japan, Frankreich, China und Großbritannien könnten so mehr Maßnahmen auf den Gebieten Umwelt, Klima und soziale Gerechtigkeit finanziert werden, argumentiert sie. "Wenn man nur einen Bruchteil eines Prozents nehmen würde, also wir sprechen über 0,005 Prozentpunkte, das würde schon Einnahmen von 40 Milliarden US-Dollar bringen", rechnet Jespersen vor. "Wenn sie das jetzt vergleichen mit den 130 Milliarden US-Dollar offizieller Entwicklungshilfe heute, dann würden 40 Milliarden schon einen ganz schönen Schub geben für die Entwicklungszusammenarbeit."
Diesen Schub wünscht sich der UN-Bericht über die menschliche Entwicklung 2011 - wohl wissend, dass inmitten einer weltweiten Schulden- und Finanzkrise die Erlöse einer solchen Finanztransaktionssteuer auch bei der Schuldentilgung der reichen Länder verpuffen könnten.
Autor: Richard A. Fuchs
Redaktion: Kay-Alexander Scholz