Wahlbeben in Bukarest
28. September 2020Noch vor vier Jahren hatte das rumänische Wahlgesetz, das nur einen Wahlgang für die Lokal- und Kommunalwahlen vorsieht, überwiegend jenen Parteien und Politikern genützt, die weder Reformen noch eine transparente Verwaltung im Sinn haben. So kam es, dass Kandidaten der postkommunistischen Sozial-Demokratischen Partei (PSD) gerade dank geringer Wahlbeteiligung mit einem geringen Stimmanteil in viele Bürgermeisterämter und Stadträte einzog. Das eklatanteste Beispiel war Bukarest, wo die bisherige Amtsinhaberin und stellvertretende PSD-Vorsitzende Gabriela Firea mit knapp 240.000 Stimmen - einem Zehntel der Bevölkerung der rumänischen Hauptstadt - die Wahl für sich entschied.
Vier Jahre später ist das Wahlgesetz eben jenen Parteien auf die Füße gefallen, die glaubten, sie hätten es zu ihren Gunsten geändert. Viele junge und aufgeklärte Wählerinnen und Wähler haben das politische Spiel durchschaut, ließen - anders als 2016 - ihre Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit beiseite und gingen wählen. Dementsprechend fiel das Ergebnis aus: Der unabhängige Bürgerrechtler Nicusor Dan, der bei den letzten Wahlen hinter Firea auf dem zweiten Platz landete, kann diesesmal mit Unterstützung der Liberalen (PNL) und der öko-bürgerlichen Allianz USR PLUS ins Bürgermeisteramt einziehen. Mit rund 280.000 Stimmen auch kein berauschender, aber ein beachtlicher Sieg, von dem Beobachter annehmen, dass er mehr als nur ein Stimmungstest für die Parlamentswahlen vom 6. Dezember dieses Jahres ist. PNL und die Allianz USR PLUS sind damit ihrem Ziel, die PSD komplett auszuhebeln, einen guten Schritt näher gekommen.
Premiere in Temeswar
Doch was in Bukarest als gemeinsames Wahlziel galt, sah in der größten westrumänischen Stadt Temeswar/Timisoara ganz anders aus. Dort trat die Allianz USR PLUS mit einem eigenen Kandidaten gegen den liberalen Amtsinhaber Nicolae Robu an - und gewann haushoch. Das allein ist schon eine Überraschung. Doch die eigentliche Premiere ist eine ganz andere: Für das öko-bürgerliche Bündnis war ein EU-Ausländer angetreten, der deutsche Staatsbürger Dominic Samuel Fritz. Temeswar, Heimat der deutschen Minderheit der Banater Schwaben, ist eine multikulturelle Stadt, in der seit Jahrhunderten Rumänen, Ungarn, Deutsche, Serben, Juden, Roma und andere Ethnien friedlich zusammenleben. Es ist die Stadt, in der Ende 1989 die antikommunistische Revolution gegen die Ceausescu-Diktatur begonnen hatte. Heute, 30 Jahre später, schreibt die Stadt erneut Geschichte: es ist das erste Mal, dass in Rumänien ein nicht-rumänischer Staatsbürger zum Bürgermeister gewählt wird.
Nach seinem Sieg sagte Dominic Fritz im DW-Gespräch: "Mit diesem Wahlergebnis wurde die Transition zur Demokratie in Temeswar defintiv vollendet... Ich bin dankbar für das Vertrauen der Wählerinnen und Wähler, das ehrt mich. Aber es ist auch eine riesige Verantwortung. Ab morgen geht es an die Arbeit."
Der 37-jährige Schwarzwälder hatte vor 17 Jahren als Volontär in einem Temeswarer Kinderheim zum ersten Mal Land und Leute kennengelernt. Inzwischen spricht er akzentfrei Rumänisch und will als Bürgermeister die Verwaltung modernisieren, die Vetternwirtschaft beseitigen und Korruption bekämpfen. 2023 soll Temeswar europäische Kulturhauptstadt werden. Bis dahin soll nicht nur das alte Stadtzentrum der habsburgisch geprägten Stadt im Banat in neuem Glanz erscheinen.
Kontinuität in Hermannstadt
Eine besondere Stellung im politischen Mosaik Rumäniens nimmt auch Hermannstadt ein. Hier war der gegenwärtige Staatspräsident Klaus Iohannis, ein Angehöriger der deutschen Minderheit der Siebenbürger Sachsen, von 2000-2014 Bürgermeister. In diese Zeit fällt auch einer seiner größten und sichtbarsten Erfolge: 2007 war Hermannstadt europäische Kulturhauptstadt und sorgte durch zahlreiche hochkarätige Kunst- und Kulturveranstaltungen weltweit für Aufmerksamkeit. Iohannis' Nachfolgerin Astrid Fodor vom Demokratischen Forum der Deutschen in Rumänien (DFDR) wurde am Sonntag mit großer Mehrheit wiedergewählt, obwohl die deutsche Minderheit nur einen verschwindenden Anteil - rund 1,5 Prozent - der Stadtbevölkerung stellt.
Für Ovidiu Gant, Abgeordneter der deutschen Minderheit im rumänischen Parlament, sind die Wahlergebnisse in diesen beiden Städten ein klares Zeichen einer europäischen Normalität und Weltoffenheit. Das gelte sowohl für den Wahlsieg eines EU-Ausländers in Temeswar als auch für die Wiederwahl der DFDR-Politikerin in Hermannstadt. Der Temeswarer Parlamentarier sagte im DW-Gespräch: "Temeswar war schon immer eine liberale, multikulturelle und multiethnische europäische Stadt. Deshalb ist hier das richtige Pflaster, um einen solchen Sieg zu erringen, was auch großartig gelungen ist." Das Ergebnis in Hermannstadt sei ein klarer Beweis dafür, dass die Politik des DFDR sich der konstanten Wertschätzung der rumänischen Mehrheitsbevölkerung erfreue.
Makaberer Wahlgang
Zum Schluss noch ein Kuriosum besonderer Art: In der südrumänischen Ortschaft Deveselu, bekannt wegen des dort aufgestellten NATO-Raketenschutzschilds, verstarb der amtierende PSD-Bürgermeister vor 10 Tagen infolge einer Coronainfektion. Sein Name blieb allerdings auf den Wahlzetteln und so kam es, dass er rund 64 Prozent der abgegebenen Stimmen erhielt. Der Vizebürgermeister des Ortes erklärte, er selbst habe den Verstorbenen auch gewählt, das sei legal und völlig normal gewesen. So hätten die Bürger ihrem Bürgermeister eine letzte Ehre erwiesen. Bis zur Abhaltung von Neuwahlen leitet der Vizebürgermeister die Verwaltung von Deveselu.