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Bedrohung für Milliarden

Richard A. Fuchs15. März 2012

Der Meeresspiegel steigt, die Wasserknappheit nimmt zu: Der OECD-Umweltausblick 2050 zeigt, wie Wasser zur Bedrohung für Milliarden Menschen werden kann. Aber es gibt auch politische Rezepte dagegen.

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Wolken über Kiribati Foto:Richard Vogel, File/AP/dapd
Bild: dapd

Näher ans Wasser möchte in Kiribati niemand mehr. Denn obwohl der Inselstaat der rund 100.000 Einwohner mit verträumten Sandstränden und türkisblauen Meeresbuchten gesegnet ist: Wasser wird auf der Pazifikinsel am Äquator nur noch als Bedrohung wahrgenommen. "Wenn die Wellen unsere Häuser und Dörfer erreicht haben, werden unsere Menschen gehen müssen", sagte Kiribatis Präsident Anote Tong Anfang März in der Inselhauptstadt Baikiri.

Sein Problem: Während der Klimawandel und der dadurch steigende Meeresspiegel für viele Industrie- und Schwellenländer noch eine Horrorvision der Zukunft ist, geht es auf den drei Inselgruppen und den 32 Atollen bereits ans Eingemachte. Die Inselgruppe liegt am höchsten Punkt drei Meter über dem Meeresspiegel. Steigen die Treibhausgasemissionen wie im Umweltausblick der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) für 2050 angenommen (siehe Grafik), dann dürfte auch der Temperaturanstieg bereits weit über der von Klimawissenschaftlern als Höchstgrenze definierten zwei Grad Celsius-Marke liegen.

DW-Grafik: Olof Pock

Metropolen unter Wasser

Für Kiribati wäre es 2050 für Schutzwälle und Mangrovenschutzgebiete ohnehin schon zu spät: Vorhersagen rechnen mit einer Überspülung der Pazifikinsel bereits in 25 Jahren. Für Heino von Meyer, Leiter des deutschen OECD-Büros, ist der Fall Kiribatis "sicherlich die Spitze des Eisbergs". Dennoch zeige der am Donnerstag (15.03.2012) in Berlin vorgestellte OECD-Umweltbericht 2050, dass Kiribatis Schicksal vielen droht. "Es gibt sicherlich noch eine ganze Reihe weiterer Hauptstädte, die in gefährlicher Küstennähe liegen."

Im OECD-Umweltausblick für 2050 werden die Folgen für Mensch und Natur aufgezeigt, entscheidet sich die Menschheit weiter so zu leben wie bisher. "Das Szenario beschreibt, was passiert, wenn nichts passiert", sagt Heino von Meyer. So werde sich das rapide Bevölkerungswachstum vor allem auf küstennahe Megastädte konzentrieren.

Heino von Meyer, Leiter des OECD-Büros Berlin (Foto: OECD)
Heino von Meyer, Leiter des OECD-Büros BerlinBild: OECD

Lebte 1970 ein Drittel der Menschheit in Städten, so ist es heute bereits die Hälfte. "Man rechnet damit, das 2050 zwei Drittel der Weltbevölkerung in großen Städten angesiedelt sein wird". Shanghai, Hongkong, Guangzhou, Bangkok, Mumbai oder Kalkutta - je mehr Megastädte sich direkt an die Ozeane schmiegen, desto dramatischer würden die Folgen des durch den Klimawandel verursachten Meeresspiegelanstiegs, heißt es im Bericht. Während heute etwa 100 bis 200 Millionen Menschen pro Jahr bei Naturkatastrophen verletzt oder getötet würden, so schließt der OECD-Umweltausblick eine Verachtfachung dieser Opferzahl nicht aus.   

Wasserstress und Wasserbedarf steigen

Doch nicht nur Flut und Naturkatastrophen, sondern auch akute Wasserknappheit prägen das Bild einer Zukunft, die sich nach den heutigen Gesetzmäßigkeiten von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiterentwickelt. Nach Projektionen des OECD-Umweltberichts 2050 wird das Trinkwasserangebot in vielen Regionen der Welt noch einmal deutlich knapper. Die Zahl der Menschen mit "Wasserstress", also akuter Wasserknappheit, soll sich von heute 1,3 Milliarden Menschen auf 3,9 Milliarden Menschen erhöhen. "40 Prozent der Weltbevölkerung werden 2050 in Gebieten mit Wasserstress leben, wenn es nicht zu einem deutlich rationaleren Umgang mit der Ressource Wasser kommt", benennt Heino von Meyer, Leiter der OECD in Deutschland, eine der Kernbotschaften der Studie.

Bereits heute besonders betroffen sind Korea, Japan, USA, Mexiko oder die Türkei. Doch statt weniger Wasserverbrauch gehen die Projektionen der OECD-Forscher von einer deutlichen Steigerung des Weltwasserbedarfs aus. "Der Wasserverbrauch wird bis 2050 um über 50 Prozent zunehmen", versichert Meyer. Vor allem bei der Industrie (+ 400 Prozent), bei der Stromerzeugung (+ 140 Prozent) und bei den privaten Haushalten (+ 130 Prozent) sei  - ohne politischen Gegenkurs - von einem teilweise dramatisch steigenden Wasserbedarf auszugehen.  

DW-Grafik: Olof Pock

Mehr Wasserbedarf, das bedeutet auch mehr Wettbewerb um sauberes Wasser. So geht der OECD-Umweltausblick von einer deutlichen Zunahme der Grundwasserverschmutzung und einer Abnahme der Qualität der Oberflächengewässer vor allem im Norden und Süden Afrikas, wie auch in Süd- und Zentralasien aus. Bis 2050 drohten bereits ein Fünftel aller Binnengewässer von gefährlichem Algenwachstum gefährdet zu sein.

Das anhaltend hohe Bevölkerungswachstum dürfte dabei sämtliche Fortschritte im Bereich der Wasserver- und Abwasserentsorgung zunichte machen, befürchten die OECD-Forscher. So dass auch 2050 noch bei mindestens 1,4 Milliarden Menschen davon auszugehen sei, dass sie ohne ausreichenden Wasseranschluss und sanitäre Anlagen leben müssen. Hier hätten die im Verbund der OECD vereinten Industrienationen eine Bringschuld, sagt Heino von Meyer: "Vor allem den Entwicklungsländern muss man beim Aufbau von Wassermanagementsystemen helfen, sowohl durch technische und finanzielle Hilfe als auch durch den Aufbau von Wissen."

Wasser hat einen Preis – und ein Management?

Um dem Stress ums Wasser langfristig zu begegnen, legt der OECD-Umweltausblick 2050 politische Lösungen nahe. "Wenn wir die knappe Ressource Wasser nicht mit einem Preis versehen, dann wird mit ihr nicht sorgsam und effizient umgegangen", berichtet Heino von Meyer über eine der Schlussfolgerungen des Berichts, der viele Fragen nach sich zieht. Schließlich wurde im Rahmen der Milleniumsziele der Vereinten Nationen ein Recht auf Wasser in der Charta der Völkergemeinschaft verankert.

Wolkenhimmel über der Insel Kiribati (Foto: dapd)
Land unter: verlieren bald 100.000 Menschen ihre Heimat Kiribati?Bild: dapd

Um Konflikte zu vermeiden, schlägt die Organisation politischen Entscheidungsträgern vor, über regional verankerte Wassertarife nachzudenken. "Sie können sehr wohl sagen, beispielsweise die ersten 50 Liter pro Tag sind für jeden Menschen frei", erklärt Meyer. Wer darüber hinaus anfange, seinen Garten zu gießen, den Rasen zu bewässern oder den Swimmingpool zu füllen, der werde durch entsprechende Tarifpreise eben härter getroffen. "Die Menschen, die in Elendsvierteln sitzen und keinen Zugang zu Wasser haben, weil es kein Geld für Investitionen gibt, die müssen sich das teure und oft dreckige Wasser vom Tankwagen kaufen." Dementsprechend könne eine politisch gesteuerte Verteuerung von Wasser tatsächlich dazu führen, dass Einnahmen durch die Bewirtschaftung von Wasser entstehen.

Für intelligentes Wassermanagement ist es im Falle Kiribatis im Pazifik allerdings bereits zu spät. Das hat den dortigen Präsidenten Anote Tong veranlasst, jetzt die Notbremse zu ziehen: Er verhandelt im Namen des kleinen, bitterarmen Volkes über den Kauf von bis zu 2000 Hektar Land auf der Südpazifikinsel Fidschi, um sein Volk dorthin umzusiedeln. Er wolle nicht, dass das Wasser sein Volk vertreibt - er kämpfe für eine "Migration mit Würde".