Die Braut, der niemand traut
22. Februar 2019"Gut gemacht, The Saj" - das war die Reaktion des britischen Boulevardblattes "The Sun" auf die Entscheidung des Innenministers Sajid Javid, der sogenannten IS-Braut Shamima Begum die britische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Javid weiß, was gut ankommt: Nach einer Umfrage des Nachrichtensenders Sky halten fast 80 Prozent aller Befragten seinen Schritt für richtig. Und dem Parlament liegt gerade eine Petition vor, allen britischen IS-Angehörigen die Staatsangehörigkeit zu entziehen, um sie an der Rückkehr zu hindern - mehr als eine halbe Million Unterschriften sind schon eingegangen.
Derweil schlagen mehr und mehr Experten Alarm. Der Innenminster habe internationales Recht gebrochen, warnt öffentlich der bekannte Anwalt Philippe Sands. Auch Gracie Bradley von der Menschenrechtsorganisation Liberty meint, der Innenminister habe womöglich unrechtmäßig gehandelt. Denn Shamima Begum ist in Großbritannien geboren, besitzt außer dem britischen keinen anderen Pass - nun ist sie eventuell staatenlos.
Rückkehr ohne Reue
Als Tochter von Einwanderern aus Bangladesch wurde Shamima Begum in Großbritannien geboren, hatte ihr ganzes Leben im Londoner East End verbracht, bevor sie sich vor vier Jahren, als Fünfzehnjährige, dazu entschloss, dem IS beizutreten. Ohne Wissen ihrer Familie reiste sie gemeinsam mit zwei Schulfreunden nach Syrien, heiratete innerhalb kurzer Zeit einen niederländischen Dschihadisten. Zwei Kinder hat sie dort nach eigenen Angaben zur Welt gebracht, beide starben kurz nach der Geburt, eines durch Unterernährung und eines durch Krankheit. Ein drittes Baby ist erst wenige Tage alt - dieses Kind möchte sie nun gern in ihrer Heimat großziehen - in Großbritannien.
In Interviews mit britischen Fernsehsendern zeigt sie nur wenig Reue: Anfangs sei es im IS-Gebiet "ganz nett" gewesen, "so wie in den Propaganda-Videos". Auch mit Gräueltaten des IS wie öffentlichen Enthauptungen habe sie kein Problem gehabt, das sei doch "islamisch okay".
Ist der Passentzug rechtswidrig?
Kein Wunder also, dass viele Briten sie auf keinen Fall wieder in Großbritannien haben wollen, und dass ihnen der Innenminister Sajid Javid aus dem Herzen spricht, wenn er sagt: "Wer Terror unterstützt, muss mit Konsequenzen rechnen."
Sowohl rechtlich als auch moralisch aber ist sein Handeln problematisch, kritisieren Menschenrechtler. Natürlich müsse die britische Öffentlichkeit geschützt werden, konstatiert Menschenrechtlerin Gracie Bradley - aber das dürfe nicht auf Kosten von Recht und Gesetz gehen. Nach britischem Recht kann Shamima Begum nur dann die Staatsbürgerschaft entzogen werden, wenn sie dadurch nicht staatenlos wird.
Sajid Javids Innenministerium ist allerdings der Auffassung, Begum habe auch ein Anrecht auf die Staatsbürgerschaft von Bangladesch, dem Herkunftsland ihrer Eltern. Aber das zuständige Ministerium in Dhaka sieht das anders - sie sei in Bangladesch keinesfalls willkommen.
Der Anwalt der Familie will die Entscheidung anfechten. David Toube von der auf Extremismus spezialisierten Quilliam Foundation warnt, der Fall sei rechtlich sehr kompliziert, Gerichtsprozesse könnten Jahre dauern, solange wäre Begum rein praktisch staatenlos.
Die "Mülldeponie" britischer Probleme
Und daraus ergibt sich die moralische Problematik: Während dieser Jahre müsste Shamima Begum wohl bis auf weiteres in Syrien bleiben, in Flüchtlingslagern. "Wir behandeln den Norden Syriens als Mülldeponie für unsere Probleme", sagt Toube. Es sei Großbritanniens Pflicht, sich mit Begum zu beschäftigen und sie vor Gericht zu stellen, sollte es den Verdacht geben, dass sie selbst Straftaten begangen hat.
Nadim Houry, Terrorismusexperte bei Human Rights Watch stimmt zu. Er reise regelmäßig in die Region, und die dortigen Behörden hätten nicht die Absicht, aus dem Ausland eingereiste Terroristen vor Gericht zu bringen: "Bitte nehmt sie sie zurück", sei deren Einstellung.
Jeder einzelne IS-Sympathisant aber, betont Houry, müsse zur Verantwortung gezogen werden - auch Shamima Begum: "Wir müssen herausfinden, was genau sie für den IS getan hat."
Die britische Regierung soll Verantwortung übernehmen
Prüfen und vor Gericht stellen, das seien doch die Grundpfeiler der Terrorismus-Bekämpfung der britischen Regierung, und dabei solle es auch bleiben, sind sich die Menschenrechtsexperten einig. Der Innenminister dürfe nicht einfach dem Volk nach dem Mund reden. Aber Gracie Bradley ist skeptisch: Sie beobachtet, dass die britische Regierung immer öfter versuche, vermeintlichen Terroristen die Staatsbürgerschaft zu entziehen, statt sie vor Gericht zu stellen: Es sei ein "besorgniserregender Trend".