1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Wie relevant sind die G20 ohne Xi?

Nik Martin
8. September 2023

Indien empfängt kurz nach dem Treffen der BRICS-Staaten die G20 zum Gipfel. Das Fernbleiben von Xi Jinping ist nur eine der Herausforderungen, denen sich die Staats- und Regierungschefs in Neu-Delhi stellen müssen.

https://p.dw.com/p/4W2x1
Indien | Vorbereitungen G20 Gipfeltreffen in Neu Delhi
Bild: Kabir Jhangiani/ZUMA/picture alliance

Auch wenn die indischen Gastgeber zur Absage Xi Jinpings schweigen: Die Entscheidung des chinesischen Präsidenten, an diesem Wochenende nicht am G20-Gipfel in Neu-Delhi teilzunehmen, dürfte die indische Führung irritiert haben.

Einige Analysten sehen in der Tatsache, dass China Xi Jinping durch Premier Li Qiang ersetzt hat, einen Beweis dafür, dass noch viel zu tun ist, wenn es um die seit langem frostigen Beziehungen zwischen den beiden asiatischen Mächten geht. Ein hochrangiges Mitglied der Regierungspartei des indischen Premierministers Narendra Modi warf sogar die Frage auf, ob die Brüskierung den Unmut Chinas über den wirtschaftlichen Aufstieg Indiens offenbare.

Andere meinen, ChinaChina habe den G20 insgesamt die kalte Schulter gezeigt. Schließlich sei es das erste Mal seit 2008, dass ein chinesischer Präsident nicht bei einem G20-Gipfel dabei ist. Immerhin hatte Xi im vergangenen Monat an der Konferenz der BRICS-Schwellenländer in Südafrika teilgenommen. Die BRICS-Gruppierung wird weitgehend als Herausforderung für die von den USA dominierte internationale Ordnung gesehen, die die G20 repräsentiert.

Chinas Brüskierung ist eine Warnung an den Westen

"Dass Xi den westlich geprägten G20-Club gleich nach der Teilnahme am BRICS-Gipfel schwänzt, könnte eine sichtbare Veranschaulichung von Xis Narrativ 'Der Osten steigt auf und der Westen fällt' sein", sagte Wen-Ti Sung, ein Politikwissenschaftler an der Australian National University, in dieser Woche der Nachrichtenagentur Reuters.

"Peking sagt ganz klar: 'Ihr braucht uns, um relevant zu bleiben'", sagte Holger Görg, Experte für internationalen Handel und Entwicklung am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), der DW. "Xi ist nur an einer Teilnahme interessiert, solange China eine führende Rolle spielt, was bei den G20 nicht der Fall ist."

Die 1999 gegründete Gruppe der 20 (G20) umfasst 19 der größten Volkswirtschaften der Welt, darunter China und Indien, sowie die Europäische Union. Die G20-Gipfel finden seit 2008, als die globale Finanzkrise ausbrach, jährlich statt.

Indiens Premierminister Narendra Modi heißt die Delegierten des G20-Gipfelts auf einer Plakatwand am Flughafen von Neu Delhi willkommen
Brüskierter Gastgeber: Willkommensgrüße für Gipfel-Teilnehmer von Indiens Premier Modi am Flughafen von Neu DelhiBild: ANUSHREE FADNAVIS/REUTERS

Die Gespräche gelten als Beitrag zur Lösung kurzfristiger weltwirtschaftlicher Probleme, auch während der COVID-19-Pandemie. Die Gruppe steht jedoch vor großen Herausforderungen, etwa bei der Bewältigung des Klimawandels und anderer langfristiger Probleme.

Indiens Chance zu glänzen

Trotz der Brüskierung durch China ist der Gipfel an diesem Wochenende eine Chance für Indien: Es kann zeigen, dass es eine verlässliche Weltmacht ist, die sowohl durch ihre traditionellen Beziehungen zum Westen als auch zu neuen Gruppierungen wie den BRICS für einen Ausgleich sorgen kann.

"Wir befinden uns in einem Moment, in dem die multilaterale Diplomatie neu erfunden wird, und das ist ein Bereich, in dem Neu-Delhi besonders stark ist", sagte Ian Lesser der DW, Vize-Präsident des German Marshall Fund und Leiter des Brüsseler Büros der Denkfabrik.

Trotzdem erwartet Lesser nicht, dass die Gespräche viele umsetzbare politische Initiativen hervorbringen werden. Er geht aber davon aus, dass der Ton des abschließenden gemeinsamen Kommuniqués "viel darüber aussagen wird, wie es um die Macht und den Einfluss des internationalen Systems bestellt ist".

Führende Politiker aus aller Welt, darunter US-Präsident Joe Biden und Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz, werden an dem Gipfeltreffen in Neu-Delhis neuem Ausstellungszentrum Pragati Maidan teilnehmen. Putin wird durch Außenminister Sergej Lawrow vertreten.

Im Mittelpunkt der Gespräche werden voraussichtlich die Aussichten für das weltweite Wirtschaftswachstum stehen, da in vielen Ländern, darunter auch in Deutschland, eine Rezession droht und Chinas Aufschwung nach der COVID-Pandemie bislang enttäuschend verlaufen ist.

Wladimir Putin, Narendra Modi und Xi Jinping auf dem G20-Gipfel in Osaka im Juni 2019
Bild aus vergangenen Zeiten: Wladimir Putin, Narendra Modi und Xi Jinping auf dem G20-Gipfel in Osaka im Juni 2019Bild: MIKHAIL KLIMENTYEV/AFP/Getty Images

Auch der Klimawandel, der Schuldenerlass und die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen werden ganz oben auf der Tagesordnung stehen, genauso wie der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, der ein großer Streitpunkt zwischen den Mitgliedstaaten ist.

Keine gemeinsame Position zum Ukraine-Krieg

Die Staats- und Regierungschefs der G20 konnten sich bisher nicht auf eine gemeinsame Position einigen, in der die russische Aggression verurteilt wird. Obwohl sich Indien in dem Konflikt neutral verhält und der größte Abnehmer von russischem Öl ist, schlug die Regierung in Neu-Delhi kürzlich eine deutlichere Erklärung vor, in der beschrieben wird, wie der Krieg "unermessliches menschliches Leid" verursacht und "die bestehenden Schwachstellen in der Weltwirtschaft verschärft".

Der Text wurde jedoch von Russland und China blockiert, so dass die indischen Unterhändler entweder die Erklärung abmildern oder die Präsidentschaft ohne Abschlusskommuniqué enden lassen müssen - zum ersten Mal seit 2008.

Auch in der Frage des Ausstiegs aus der Nutzung fossiler Brennstoffe bestehen trotz der zunehmenden Folgen des Klimawandels weiter tiefe Gräben. Bei einem G20-Energietreffen im Juli erwähnten die Minister nicht einmal den schmutzigen Brennstoff Kohle, der für Volkswirtschaften wie Indien und China nach wie vor eine wichtige Energiequelle ist.

Die beiden Mächte gehören zu den größten Umweltverschmutzern der Welt. Indien und China argumentieren aber, dass die westlichen Länder, die in der Vergangenheit erheblich zum Klimawandel beigetragen haben, eine viel größere Verantwortung für die Klimakrise übernehmen müssen.

In jüngster Zeit hat sich Indien damit gerühmt, eine Stimme für den globalen Süden zu sein - ein Begriff, der typischerweise ärmere Länder in Asien, Afrika und Lateinamerika bezeichnet, die in globalen Angelegenheiten oft unterrepräsentiert sind. Neu-Delhi glaubt, dass Indien eine Brücke zwischen der entwickelten Welt und den Entwicklungsländern sein kann.

Indien drängt auch darauf, dass die Afrikanische Union (AU) - die 55 afrikanische Staaten vertritt -Vollmitglied der G20 wird. Der Plan findet breite Unterstützung, auch bei Biden, der im Dezember sagte, dass dieser Schritt "seit langem auf sich warten lässt". Einige der aktuellen G20-Mitglieder sind in dieser Frage jedoch zurückhaltend, darunter Australien und Indonesien.

"Afrika wird wirtschaftlich und geopolitisch immer wichtiger, aber viele AU-Mitglieder haben ihre eigenen Interessen und werden sich fragen, ob die G20 das Format sein sollte, um Afrika zu repräsentieren", so Lesser.

Trotz ihrer Hoffnungen ist IfW-Forscher Holger Görg nicht davon überzeugt, dass die Mitgliedschaft in der G20 den afrikanischen Ländern "wirkliche politische Macht" geben wird. Stattdessen könnten sie noch mehr in die Hände Chinas und Russlands fallen, die in den letzten Jahren führende Rollen in der Region übernommen haben.

Wie Bloomberg News am Dienstag berichtete, wollen die Staats- und Regierungschefs der EU am Rande der Gespräche in Neu-Delhi verstärkt auf die afrikanischen Länder zugehen. Die Europäer wollen gegenüber Peking aufholen, das sich seit vielen Jahren spürbar in Afrika engagiert.

Unter Berufung auf Quellen in Brüssel berichtet Bloomberg, Europas Spitzenpolitiker wollten zeigen, dass es der EU ernst ist mit der Neudefinition der Partnerschaft mit Afrika - trotz des schwierigen Erbes der Kolonialzeit.

Dieser Artikel wurde aus dem Englischen adaptiert.