Milliarden-Einbußen durch Abschiebungen
24. August 2018Jeden Tag fährt Diego Corzo mit seinem Auto durch Houston im amerikanischen Bundesstaat Texas. Dort trifft er sich mit Kunden, isst mit ihnen zu Mittag und führt sie dann durch Wohnungen. Diego ist Immobilienmakler. In den letzten Jahren hat er sich sein eigenes Unternehmen aufgebaut: "Ich helfe Menschen dabei, eine der größten Investitionen ihres Lebens zu kaufen: ein eigenes Zuhause." Menschen bei diesem Schritt zu begleiten, mache ihn glücklich, sagt der 28-jährige Peruaner.
Doch damit könnte bald Schluss sein. Der Grund: US-Präsident Donald Trump und dessen Einwanderungspolitik. Diego zog mit neun Jahren mit seinen Eltern und seinem kleinen Bruder aus Lima nach Florida. "Mein Vater hat in Peru keinen Job gefunden", erzählt Diego. "Wir sind in die Staaten gezogen, damit unsere Familie eine Zukunft hat." Zunächst kamen sie mit einem Visum ins Land. Doch als das auslief, blieben die Corzos in den USA: "Mein Bruder und ich gingen schon zur Schule. Meine Eltern hatten Jobs hier. Wir hatten in den USA schon ein Leben aufgebaut." Dass er damit zu einem illegalen Einwanderer wurde, war Diego nicht klar.
Obamas Vermächtnis
Diegos Geschichte ist kein Einzelfall. In den letzten Jahrzehnten kamen unzählige Kinder mit ihren Familien in die USA – und blieben. Dass die sogenannten "Dreamer" heute trotz illegaler Einwanderung in den USA leben und arbeiten dürfen, verdanken sie Ex-Präsident Barack Obama. 2012 verabschiedete er ein Dekret, das Kinder von Einwanderern vor der Abschiebung schützt. Das Programm mit dem Titel "Deferred Action for Childhood Arrivals", kurz DACA, hat mittlerweile mehr als 700.000 jungen Einwanderern einen Aufenthaltstitel und eine offizielle Arbeitserlaubnis gebracht. Doch ihre Zukunft ist ungewiss. Präsident Donald Trump stoppte das Programm im vergangenen Herbst. Ein Gericht setzte es daraufhin zwar wieder ein, allerdings nur für bereits eingeschriebene Dreamer.
Für Diego war DACA ein Wendepunkt: "Ich stand endlich auf der selben Stufe wie all meine Freunde und konnte ohne Angst und Ungewissheit meine Zukunft planen." Diego beendete die High School als drittbester seines Jahrgangs. "Danach wusste ich, dass ich etwas mit Technologie machen möchte", erinnert sich der Makler. Ebenfalls wusste er schon damals, dass er eines Tages sein eigenes Unternehmen aufbauen möchte. Er schaffte es zur Florida State University, studierte Informationstechnologie und Management und schloss als einer der Besten seines Jahrgangs ab.
Milliarden Dollar weniger
Diegos Ausbildung hätte fast nicht besser laufen können. "Ich habe versucht, so produktiv wie möglich zu sein und habe alles getan, um die Entscheidung meiner Eltern wertzuschätzen." Ein Ehrgeiz, der unter den Dreamern weit verbreitet ist. Eine Umfrage des Center for American Progress zeigt, dass die Mehrheit der DACA-Empfänger über 25 Jahre mindestens einen Bachelor-Abschluss hat. Mehr als die Hälfte aller befragten Dreamer, die noch zur Schule gehen, wollen einen Bachelor-Abschluss erreichen.
Kritiker des DACA-Programms, darunter US-Präsident Trump, argumentieren, dass Einwanderer auf Kosten der US-Bürger leben. Sie würden Kosten für die Steuerzahler verursachen und den US-Bürgern Jobs wegnehmen. "Einwanderer und Einwanderung selbst sind gut für unser Land und für unsere Gemeinschaft", erwidert Peter Boogaard. Er arbeitet für FWD.us, eine Lobbygruppe in Washington D.C., die DACA und Dreamer schützen möchte. "Diese Menschen leisten einen großen Beitrag für unser Land", ergänzt Boogaard, der für die Obama-Regierung gearbeitet hat.
Tatsächlich zeigen Studien, dass ein Ende des DACA-Programms der US-Wirtschaft stark schaden würde. Schätzungen des CATO Institute in Washington kommen zum Ergebnis, dass Dreamer zwischen 2019 und 2028 rund 351 Milliarden Dollar zur Wirtschaft beitragen werden. In diesem Zeitraum werden sie außerdem rund 93 Milliarden Dollar Steuern zahlen. Geld, das fehlen würde, müssten die Einwanderer das Land verlassen. "Dreamer leben hier seit ihrer Kindheit. Wir sind Amerikaner von Grund auf", erwidert Diego den Kritikern des DACA-Programms. "Ich besitze Wohnungen, andere Dreamer mieten oder kaufen Wohnungen hier und wir zahlen Steuern." Im vergangenen Jahr sollen es allein 33.000 Dollar gewesen sein, die Diego an Texas und Washington überwiesen hat.
"Der Unternehmergeist von Einwanderern hat unsere Wirtschaft schon in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten angetrieben. Diese Menschen verfolgen den American Dream, das war schon immer so", erklärt Peter Boogaard von FWD.us. Auch Diego sah die USA als das "Land der unbegrenzten Möglichkeiten". Sein Vater erzählte ihm als Kind davon, dass man dort alles erreichen könne, wenn man sich nur anstrenge. "Heute lebe ich den Amerikanischen Traum. Meine Geschichte inspiriert andere Dreamer und Jugendliche", berichtet der 28-Jährige. "Wenn ich das als Dreamer in fünf Jahren schaffe, dann kann das jeder schaffen."
Das erste eigene Auto
Obwohl sie ohne DACA keine offizielle Arbeitserlaubnis haben, arbeiten viele Dreamer unentdeckt als Freie oder Dienstleister. In den USA ist es nicht nötig, dem Arbeitgeber den Aufenthaltsstatus mitzuteilen. Doch erst mit DACA haben es viele Dreamer geschafft, finanziell unabhängig zu werden. Umfragen zeigen, dass der Stundenlohn der Dreamer nach der Aufnahme ins DACA-Programm um bis zu 84 Prozent gestiegen ist. "Als 22-Jähriger habe ich plötzlich so viel verdient wie mein Vater", erinnert sich Diego. Eine seiner ersten Investitionen war ein eigenes Auto: "Vorher musste ich meinen Anzug immer in einen großen Rucksack packen, mit dem Fahrrad zu Meetings fahren und mich im Hinterhof umziehen."
Außerdem ermöglicht DACA vielen jungen Einwanderern, endlich den Job zu machen, den sie schon immer machen wollten. Fünf Prozent von ihnen gründeten ihr eigenes Unternehmen, wie Diego. Damit liegen die Dreamer über dem nationalen Durchschnitt von 3,1 Prozent. 18 der 25 reichsten Unternehmen der USA beschäftigen darüber hinaus Dreamer, darunter Apple, General Motors und Amazon.
Unsichere Zeiten
DACA bringt Einwanderern ein besseres Leben und den Staatskassen mehr Einnahmen. Trotzdem ist die Trump-Regierung entschlossen, das DACA-Programm zu beenden. Im vergangenen Herbst verlängerte Präsident Trump das Dekret seines Vorgängers nicht. Alle Anläufe, eine Lösung im Kongress zu finden, scheiterten. Ein Gericht entschied dann, dass DACA für bereits eingeschriebene Dreamer weiterlaufen muss. Seitdem sind allerdings keine Neuanträge mehr möglich. Im April entschied ein Gericht in Washington dann, dass auch diese wieder möglich sein müssen. Die US-Regierung wird dieses Urteil jetzt anfechten. Nebenbei berät ein Gericht in Texas darüber, ob Präsident Obama DACA überhaupt erst hätte verabschieden dürfen.
Es ist eine unübersichtliche Situation für Dreamer. Gerichte fällen widersprüchliche Urteile über DACA. Es ist wahrscheinlich, dass bald das Oberste Gericht darüber entscheiden wird. "Ich bin besorgt. Ich spüre im Moment eine große Angst und Unsicherheit", sagt Diego. "Ich kann mich auch nicht mehr voll auf mein Unternehmen konzentrieren." Sollte DACA wirklich beendet werden, müsste der Makler sein Unternehmen in Texas verlassen: "Ich würde dann lieber bei meinen Eltern und meinem Bruder in Florida sein wollen." Ohne DACA bestünde auch wieder die Gefahr, dass Diego zurück nach Peru gehen müsste: !Wenn die Vereinigten Staaten uns Dreamer abschieben, sind sie es, die verlieren. Ich weiß, dass wir ein großes Potential haben."
Hoffen auf Sicherheit
"Diese Unsicherheit ist extrem schädlich für junge Menschen", sagt auch Peter Boogaard. "Sie versuchen eine Karriere aufzubauen und müssten eigentlich die kommenden Jahre ihres Lebens planen." Im Moment könnten Dreamer allerdings nur von Gerichtsprozess zu Gerichtsprozess hoffen. Boogaards Organisation FWD.us wird weiter für das DACA-Programm kämpfen. Eine Lösung im aktuellen Kongress, der von den Republikanern bestimmt wird, hält er aber für unwahrscheinlich.
Auch Diego macht weiter und hofft, dass die Gerichte für DACA und die Dreamer entscheiden. Er möchte vor allem die Unsicherheit loswerden, nicht zu wissen, was passieren wird. Dafür ist es ihm nicht mal wichtig, ein richtiger US-Bürger zu werden: "Ich hoffe einfach nur, dass der Kongress uns etwas gibt, womit wir nicht länger in Angst leben müssen."