Wirtschaftskrise stoppt Migrantenstrom
12. Juli 2011Sie heißt "Migrationsausblick 2011", aber tatsächlich handelt es sich bei der aktuellen OECD-Studie zum Zuwanderungsverhalten (IMO 2011) um einen Rückblick. Denn für den Bericht der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) wurden die Migrationszahlen für das Krisenjahr 2009 ausgewertet. Das Zahlenwerk spiegelt noch einmal die Dramatik der Wirtschaftskrise für 22 der OECD-Länder und Russland wider. 2009 wanderten in diese Länder rund 4,25 Millionen Menschen dauerhaft ein, sieben Prozent weniger als 2008. Diese Zahlen wurden am Dienstag (12.07.2011) in Paris, Brüssel und Berlin vorgestellt.
Studenten kamen gern, Fachkräfte blieben aus
Insgesamt 16 Staaten verzeichneten einen Rückgang der Migration mit Prozentanteilen zwischen fünf und 43 Prozent. Nur Schweden, die Niederlande, Kanada, Australien, Russland und die USA hatten positive Einwanderungswerte von einem bis 17 Prozent. Schlusslicht des Berichtes ist Tschechien mit einem Rückgang von über 40 Prozent. Deutschland liegt mit einem Einwanderungsminus von 13 Prozent und 198.000 Einwanderern im Mittelfeld. Nur in Japan wanderten in Summe weniger Menschen ein.
Der Hauptgrund für den Zuwanderungs-Rückgang liegt auf der Hand: Die Wirtschaftskrise 2009. "Die Bedingungen für Arbeitsmigration hätten ungünstiger kaum sein können", unterstreichen die OECD-Experten mit Blick auf die wirtschaftlichen Einbrüche und den Anstieg der Arbeitslosenzahlen in den Industrieländern. Und erstmals sind nicht mehr die Türken unter den drei stärkste Zuwanderernationalitäten für Deutschland, sondern Polen, Rumänen und Bulgaren.
Neuer Trend schon sichtbar
Die Autoren des Berichts gehen jedoch davon aus, dass sich bestimmte Trends bald wieder umkehren könnten: "Sobald die Wirtschaft sich wieder erholt hat, wird der demografische Wandel in vielen OECD-Ländern dafür sorgen, dass Arbeitgeber wieder verstärkt nach Fachkräften Ausschau halten", heißt es unter anderem.
Unterschiedliche Zahlen
Überraschend ist das IMO-2011-Ergebnis für Deutschland. Denn eigentlich hatten die deutschen Behörden ganz andere Zu- und Abwanderungsdaten. Sie belegen für 2009 einen starken Anstieg und eben nicht den Rückgang. Thomas Liebig von der OECD-Abteilung für Internationale Migration hat dafür eine einfache Erklärung: Die Qualität der OECD-Daten sei einfach besser, man habe regelmäßig die Register bereinigt.
Das Zahlenwerk belegt auch die Auswirkungen der Wirtschaftskrise in den Industrieländern. Die Zahlen sind wichtig, weil man sie für eine gesteuerte Arbeitsmigration einsetzen könnte, vor allem im Hinblick auf den Fachkräftemangel.
50 Jahre OECD
Aber die Erhebungen sind nicht nur auf die Zeitspanne 2008/2009 begrenzt. 2011 feiert die OECD ihr 50-jähriges Bestehen. Und daher sind auch langjährige Vergleichszahlen verfügbar. Interessant ist, dass sich die Zahl der Unternehmensgründungen durch Migranten in Deutschland seit Ende der 90er Jahre verdoppelt hat. 2008 wurden mehr als 100.000 Zuwanderer zu Unternehmern. Von Zuwanderern gegründete Betriebe beschäftigten hierzulande bereits mehr als 750.000 Menschen.
Positiv hebt der IMO 2011 hervor, dass Deutschland einen großen Zuzug von Studenten aus dem Ausland erlebt hat. Mehr als 60.000 Studenten wählten Deutschland 2009 als Studienort - ein Rekordwert. Diese stellen laut Liebig eine zunehmend wichtige Ressource für den Arbeitsmarkt dar. Besonders beliebt ist Deutschland bei Chinesen, die allein 15 Prozent der ausländischen Studenten ausmachten. Jeder vierte ausländische Student bleibe nach Studienabschluss in Deutschland - ein Wert, der abermals über dem OECD-Durchschnitt liegt.
Weitere Migrantenströme aus der Arabischen Welt
Aktuell ging OECD-Generalsekretär Angel Gurría, als er seinen Bericht in Brüssel präsentierte, auf die Auswirkungen der Revolutionen in der arabischen Welt ein. So sorgten diese Veränderungen für kräftige Migrationsströme. "Wir sollten uns auf neue Muster vorbereiten."
Angesichts des demografischen Wandels werde Europa mehr Zuwanderung brauchen, betonte EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström. Die Politik müsse unter anderem dafür sorgen, dass das Arbeitskräfte-Angebot und die speziellen Bedürfnisse der Arbeitgeber zusammenpassen.
EU-Sozialkommissar Laszlo Andor sagte, ihm bereite insbesondere die hohe Arbeitslosigkeit unter jungen Einwanderern Sorgen. Hier müsse gegengesteuert werden, da sonst große soziale Probleme drohten. Erfreut zeigte sich Andor darüber, dass Deutschland zum 1. Mai dieses Jahres den Arbeitsmarkt für Bürger aus den östlichen EU-Ländern geöffnet hat: "Vielleicht hätte dies schon früher passieren können, aber diese Entscheidung stand Deutschland frei", sagte der Kommissar aus Ungarn.
Autorin: Marion Linnenbrink (afp, epd)
Redaktion: Sabine Faber