Schmähplastik: Offener Brief aus Israel
7. September 2022Abnehmen, verhüllen oder lassen, wie es ist? Noch ist keine Entscheidung gefallen, was mit der mittelalterlichen Sandsteinplastik geschieht, die in gut vier Metern Höhe an der Außenwand der Wittenberger Stadtkirche hängt und offensichtlich Menschen jüdischen Glaubens verhöhnt. Als Wittenberger "Judensau" bekannt geworden, sorgt die Skulptur seit Jahren in Deutschland für Streit und für Ratschläge, wie mit der Schmähplastik umzugehen sei.
Nun hat sich eine Gruppe israelischer Wissenschaftler zu Wort gemeldet, die sich gegen eine Abnahme der Skulptur von der evangelischen Stadtkirche ausspricht. In einem offenen Brief an den Gemeindekirchenrat heißt es, Antisemitismus lasse sich nicht durch Bilderstürmerei stoppen. Anstatt die Skulptur ins Museum zu stellen, sollte sie an Ort und Stelle genutzt werden, um über das Verhältnis von Christen und Juden im Mittelalter aufzuklären.
Unterzeichnet ist das auf Englisch verfasste Schreiben, das der Gemeindekirchenrat an diesem Mittwoch in Wittenberg veröffentlichte, von mehr als 50 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern israelischer Universitäten, darunter zahlreiche Kunst- und Kulturhistoriker. Weiter heißt es in dem Schreiben, die Präsenz der "Judensau" im öffentlichen Stadtraum sei eine wichtige Erinnerung an die Vergangenheit.
Gräueltaten des Antisemitismus
Die Schmähplastik von der Kirche im Bundesland Sachsen-Anhalt zu entfernen, würde bedeuten, die Gräueltaten des Antisemitismus zu beseitigen und in der Konsequenz die Vergangenheit zu leugnen. Zugleich regten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an, Besuchern mehr Informationen zur Verfügung zu stellen und den Gedenkort vor der Fassade mit der Schmähplastik "weiterzuentwickeln". Bislang steht dort nur eine Stele.
Das Relief zeigt unter anderem ein Schwein, an dessen Zitzen Menschen saugen, die Juden darstellen sollen. Ein 2020 vom Gemeindekirchenrat einberufener Beirat hatte Ende Juli empfohlen, die Schmähplastik zeitnah zu entfernen und mit einem angemessenen, einordnenden Rahmen zugänglich zu machen. Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sagte, dass er eine Abnahme der Schmähplastik prinzipiell für wünschenswert halte. Sie sollte aber nicht irgendwo versteckt werden, sondern der Öffentlichkeit zugänglich bleiben, als Zeugnis für die Schuld und die Verantwortung der Kirchen.
Der Stadtgemeinderat will sich auf seiner nächsten Sitzung Ende des Monats mit dem jetzt aus Israel eingegangenen Offenen Brief befassen, sagte dessen Vorsitzender Jörg Bielig der Deutschen Welle. Bei seiner Entscheidung wolle das Gremium auf die jüdischen Stimmen hören.
AR/uh/pf (epd, dw, dpa)