Österreich: In der Geschichte gefangen
3. Dezember 2016Noch einmal der gleiche Wahlkampf, noch einmal Fernsehduelle der beiden verbliebenen Kandidaten, noch einmal Schläge unter die Gürtellinie. Wenn die Österreicher am Sonntag erneut wählen, haben sie einen quälenden elfmonatigen Wahlkampf hinter sich. Bei der Auszählung der Briefwahlstimmen nach der ersten Stichwahl hätte es zu Fälschungen kommen können, verfügte das Verfassungsgericht Anfang Juli. Und gab damit dem Einspruch der ehemaligen Jörg-Haider-Partei FPÖ statt, so dass die zweite Wahlrunde nun wiederholt werden muss.
Vielleicht lag es ja an der Länge der Auseinandersetzung, dass es schon beim ersten von drei nochmaligen Fernsehduellen im November zum Nazi-Eklat kam: Ein FPÖ-Anhänger postete ein Foto des als unabhängiger Kandidat antretenden Alexander Van der Bellen im Internet - ein Wahlfoto des ehemaligen Grünen-Vorsitzenden, naturverbunden in freier Wildbahn mit seinem Hund. Darunter wurde es unappetitlich: Zwei Fotos zeigten da Adolf Hitler mit seinen Schäferhunden. Daraufhin fragte Van der Bellen seinen Kontrahenten Norbert Hofer in der TV-Debatte: "Finden Sie das in Ordnung?" Hofer konterte, er sei selbst Opfer: Schließlich prangten auf seinen Wahlplakaten öfters Hakenkreuz-Schmierereien.
Im Burschenschafter-Milieu verwurzelt
Tatsächlich schwingt - aus Sicht der linksbürgerlichen Mitte in Österreich - bei der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) immer der Rechtsextremismus-Verdacht mit. Und Kandidat Hofer macht selbst keinen Hehl daraus, dass er der burgenländischen Burschenschaft "Marko-Germania zu Pinkafeld" angehört.
Pünktlich zum Bundespräsidentenwahlkampf hat der Publizist und Beststellerautor Hans-Henning Scharsach ("Haiders Kampf") einen elfseitigen Aufsatz über die seiner Ansicht nach bestehenden Bezüge Hofers zur rechtsextremen Burschenschafterszene in Österreich geschrieben. Demnach lehnt Hofers erst 1994 gegründete Verbindung in ihrer Gründungsfestschrift die österreichische Nation als "geschichtswidrige Fiktion" ab. Man bekenne sich zum "deutschen Vaterland, unabhängig von bestehenden Grenzen". Für Scharsach schließt "die deutschnationale Standortbestimmung nahtlos an Jörg Haiders Ausspruch von der 'Missgeburt' der österreichischen Nation" an - eine Formulierung, die aus einem Zitat von Adolf Hitler aus "Mein Kampf" übernommen worden sei.
Dass die FPÖ-Funktionäre fest im Burschenschafter-Milieu verwurzelt sind, ist kein Geheimnis. Der frühere Vorsitzende Jörg Haider spielte immer aktiv mit diesem Zusammenhang. Norbert Hofer hingegen kontert den Vorwurf, rechtsextremen Gruppen nahezustehen, damit, dass ihm auf der einen Seite "Deutschnationalismus" vorgeworfen werde, auf der anderen aber auch seine "Heimatverbundenheit".
"Einen Sieg Hofers wird die Demokratie aushalten"
Dahinter steckt nach Ansicht der Publizistin Barbara Tóth vom Wiener Stadtmagazin "Falter" eine geschickte Umwidmung: Der deutsche Burschenschafter-Nationalismus sei heute "österreichisch". Und die FPÖ setze den Heimatbegriff erfolgreich bei ihrem Wählerklientel vor allem auf dem Land ein. "Burschenschafter gehören bei der FPÖ eben dazu - in Österreich ist das leider schon lange kein Skandal mehr." Die Verbindungen gehören also zur DNS der Freiheitlichen.
Genauso sind die Proteste gegen den jährlichen Akademiker-Ball der Burschenschafter in Wien ein Reflex der bürgerlichen Mitte: Die Gegendemonstrationen wurden stets gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde angemeldet. Seit dem Kantersieg Hofers in der ersten Wahlrunde hält man sich dort allerdings mit FPÖ-Kritik zurück. Martin Engelberg, der Vorsitzende der jüdischen Partei Chaj, stellte in einem Zeitungsinterview klar, dass die FPÖ nicht die NSDAP sei. Ein Sieg Hofers werde Österreich verändern, aber auch das werde die Demokratie aushalten.
Hofer - ein Wolf im Schafspelz?
Eingefleischte FPÖ-Aktivisten reagieren pikiert darauf, wenn Hofers Nähe zu rechtsextremen Kreisen zur Sprache kommt. Eine Wahlkämpferin im Wiener Stadtteil Simmering sagte, derartige Behauptungen seien "schlicht nicht wahr". Und für Ortsvorsteher Paul Stadler von den Freiheitlichen, der vor einem Jahr erstmals in dem einst sozialdemokratisch dominierten Stadtteil gewonnen hatte, ist ohnehin klar, dass Hofers Gegner, "wenn ihnen nichts mehr einfällt, die Nazi-Keule herausholen".
Alles also nicht so schlimm mit Norbert Hofers rechtsextremen Verbindungen? Das will der Präsidentschaftskandidat des linksbürgerlichen Lagers nicht stehen lassen: "Sie haben Kreide gefressen, Herr Hofer", sagte Alexander Van der Bellen immer wieder.
Dass Nazi-Vergleiche in diesem Wahlkampf eine solche Rolle spielten, so der Redakteur Bernhard Gaul von der Tageszeitung "Kurier", habe seine Gründe: "Wir haben schlicht Defizite in der Aufarbeitung unserer nationalsozialistischen Vergangenheit."