Frischer Wind mit dem "Prinz von Bel-Air"
Eigentlich bin ich kein TV-Serien-Junkie. Aber aus offensichtlichen Gründen habe ich dieses Jahr mehr Zeit zu Hause verbracht und fühlte mich von einer Serie magisch angezogen: "Der Prinz von Bel-Air".
Tatsächlich sind die Folgen 30 Jahre alt, aber für mich waren sie die perfekte Begleitung durch das Jahr 2020. Schon der Titelsong, den der "Fresh Prince of Bel-Air" (so der Originaltitel) rappt, klingt doch dieses Jahr ganz besonders glaubwürdig: "Dies ist die Geschichte darüber, wie mein Leben auf den Kopf gestellt wurde".
Die US-amerikanische Familienserie lief von 1990 bis 1996, wurde ein Riesenerfolg und zündete die Schauspielerkarriere von Hauptdarsteller Will Smith. Seit der ersten Ausstrahlung wird sie weltweit wiederholt, in Sprachen wie Deutsch, Spanisch und Russisch.
Klimawandel und Rassismus - universelle Themen
Der Anfang der Geschichte, die Millionen Menschen kennen, ist einfach: Ein cleverer afroamerikanischer Teenager, aufgewachsen auf den Straßen Philadelphias, zieht in eine Villa im Nobelstadtteil Bel Air in Los Angeles, wo er mit seinem reichen Onkel (einem Rechtsanwalt), seiner Tante (einer Professorin), deren drei Kindern und einem britischen Butler mit knochentrockenem Humor lebt.
Die unterschiedlichen Lebensgewohnheiten prallen aufeinander und führen zu Familiendramen ebenso wie zu Unterhaltungen über Schwarze Identität, meistens in der Studiokulisse aus Wohnzimmer und Küche - aber, hey, mein Leben hat sich jüngst auch in diesen beiden Räumen abgespielt.
Obgleich die Serie so alt ist, sind ihre Themen universell und 2020 unbestreitbar weltweit relevant. Als ich Folgen sah, in denen Polizisten Autofahrer unweigerlich aufgrund ihrer Hautfarbe anhalten oder in denen afroamerikanische Geschichte im Lehrplan fehlt, fragte ich mich: Wie weit sind wir wirklich gekommen in einem Jahr, in dem wir weltweite Proteste gegen Polizeigewalt und Racial Profiling und für die Dekolonisierung unserer Geschichtsschreibung erlebt haben? Das Bewusstsein ist gewachsen, die Bewegung ist breiter geworden - aber die Verbrechen sind die gleichen geblieben.
Jedes Mal, wenn die ältere Tochter der TV-Familie zu einer Klimaschutzdemo geht, unterstreicht das unverblümt, dass die anhaltende existentielle Krise unseres Planeten Menschen seit Jahrzehnten auf die Straße treibt - selbst wenn die Tochter sich in diesem Fall eher um ihren sozialen Ruf sorgt. Heutzutage würde sie Protest-Selfies machen.
Nicht alle Elemente der Serie sind in Würde gealtert - und damit meine ich nicht die Klamotten. (Als ein Kind der 1990er Jahre habe ich eine Schwäche für Neonfarben, Jeans-Outfits und Nylon-Windjacken.)
Eine neuer Blick - durch die Corona-Brille
Pointen, die Schwule zur Zielscheibe des Spotts machen, verstärkt durch eingeblendete Lacher, ballten sich zu dicker Luft vor meinem Bildschirm. Zeitgenössische Serien kommen mit sowas nicht mehr durch. Und das ist gut so. Man nennt das Fortschritt. Und in einem Jahr, in dem oft alles still zu stehen schien, ist es wichtig, daran erinnert zu werden, dass wir langfristig Dinge zum Besseren verändern können.
Dann waren da die Momente, die in einer Art nachhallten, die die Macher des "Prinz von Bel-Air" nicht beabsichtigt hatten. Zum Beispiel als die Großmutter, die gerade eine Grippe hinter sich hat, mit dem Onkel darüber streitet, ob sie das Haus verlassen darf. Ich musste an Gespräche denken, die ich in diesem Jahr mit meiner Familie hatte, als wir - wie vermutlich viele andere - den Schutz unserer älteren Verwandten vor COVID-19 abzuwägen versuchten mit ihrem Wunsch nach einem lebenswerten Alltag.
Und hätte jemand 1994 gedacht, dass ein gewisser schmallippiger Immobilien-Mogul mit einer blonden Haartolle, der kurz als Cameo erscheint, eines Tages US-Präsident werden würde? Der Gastauftritt von "The Donald" hat meine Fernsehpause von der Realität zwar definitiv unterbrochen, aber wenigstens brüllt die jüngere Tochter in der Szene, quasi stellvertretend für mich: "Danke, dass Du mein Leben zerstört hast!" Das war erlösend.
Lachen mit dem "Prinzen von Bel-Air" tut gut
Von abwesenden Vätern bis zum Leben nach dem Verlust des Partners - der "Prinz von Bel-Air" behandelt behutsam auch schwere dramatische Stoffe. Aber dies ist Unterhaltung - und dazu eine, die sich selber nicht allzu ernst nimmt. Mich hat sie zum Lachen gebracht. Und dieses Jahr habe ich Grund zum Lachen gebraucht, als eine schlechte Nachricht auf die nächste folgte.
Ich habe auch die Nostalgie gebraucht - die sehnsüchtige Erinnerung an eine Zeit, als ich die Serie mit meiner Familie unter dem gleichen Dach sah. Als George Bush Präsident war. (Hätte nie gedacht, dass ich das mal schreiben würde!) Und als wir die große Videokamera hervorzerren mussten, wenn wir ein Video von uns aufnehmen wollten. Mich dieser Nostalgie hinzugeben, auch wenn sie oberflächlich ist, war tröstlich in einem Jahr, das gelinde gesagt eine komplette Katastrophe war.
Im 30. Jubiläumsjahr des "Prinz von Bel-Air" ist ein Neustart der Serie angekündigt. Ich werde sie anschauen, wenn sie rauskommt. Aber bis dahin - oder jedenfalls, bis Netflix die alten Folgen aus dem Programm nimmt - werden Sie mich auf dem Sofa finden, wo ich mir die beste Serie des Jahres 2020 noch mal reinziehe.
Adaption: Beate Hinrichs