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Mindestlöhne werden unterlaufen

Marcus Lütticke30. April 2013

In Deutschland gibt es bei einigen Branchen schon gesetzliche Lohnuntergrenzen. Theoretisch - denn sie werden nicht immer eingehalten - vor allem im Baugewerbe. Staatliche Auftraggeber könnten eine Mitschuld haben.

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Ein polnischer Arbeiter des Subunternehmens "Polbau" trägt Holzlatten auf eine Baustelle (Foto: Arne Dedert dpa/lhe)
Polnischer Bauarbeiter auf Baustelle in Deutschland Einwanderung Zuwanderung Einwanderer LohndumpingBild: picture-alliance/dpa

Zementsäcke schleppen, in praller Sonne oder bei Regen auf dem Gerüst stehen oder nachts auf der Autobahn die Fahrbahn teeren - die Arbeit auf dem Bau gilt als körperlich hart und belastend. Eigentlich sollte jeder Beschäftigte der Branche in Deutschland mindestens 10,25 Euro pro Stunde verdienen, im Westen sogar 11,05 Euro. So sieht es das Gesetz vor. Eigentlich. Doch die Realität sieht anders aus.

In Deutschland gibt es im Gegensatz zu den meisten europäischen Nachbarländern keinen branchenübergreifenden gesetzlichen Mindestlohn. In einigen Wirtschaftszweigen gibt es aber tarifliche Mindestlöhne, die für alle Menschen gelten, die in der Branche arbeiten. Hierzu zählen unter anderem Arbeiter auf Baustellen, Gebäudereiniger, Pflegekräfte oder Straßenreiniger. Hintergrund ist das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG). Damit soll verhindert werden, dass Betriebe aus dem Ausland die deutschen Tarifbestimmungen umgehen, wenn sie Aufträge im Land annehmen.

Mehr Kontrollen gefordert

Die Lohnuntergrenzen stehen in einigen Fällen aber nur auf dem Papier. Das geht aus einer Anfrage der Grünen-Fraktion an die Bundesregierung hervor. Im Jahr 2012 sind demnach allein in der Bauwirtschaft 1690 Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen den Mindestlohn eingeleitet worden. In der Gebäudereinigung waren es 248, in der Pflege 50 Fälle.

Porträt von Dietmar Schäfers, stellvertretender Vorsitzender der IG Bau (Foto: Tobias Kleinschmidt dpa/lbn)
Dietmar Schäfers, stellvertretender Vorsitzender der IG Bauen, Agrar, UmweltBild: picture-alliance/dpa

Für Dietmar Schäfers, den stellvertretenden Bundesvorsitzenden der "Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt" sind diese Zahlen jedoch nur die Spitze des Eisberges. "Ich bin davon überzeugt, dass man sehr viel mehr Fälle ermitteln würde, wenn es nur häufigere Kontrollen auf den Baustellen gäbe."

Beim Zoll sind Planstellen nicht besetzt

Zuständig für die Überwachung des Mindestlohnes ist der Zoll. Er prüft im Rahmen seiner Kontrollen gegen Schwarzarbeit auch vor Ort, ob die Beschäftigten den Vorschriften entsprechend entlohnt werden. Dies geschieht in der Regel durch einen Fragebogen, den die Arbeiter bei einer Baustellenprüfung ausfüllen müssen: "Wenn jemand sagt, er bekäme nur 4 Euro, dann würden wir nachforschen. Wenn jemand sagt, er bekäme 16 Euro, dann haben wir  - zumindest was den Mindestlohn angeht - nicht unbedingt den Verdacht, dass da was nicht stimmt", so Klaus Salzsieder von der Bundesfinanzdirektion West.

Die Kapazitäten der Kontrollbehörde sind allerdings begrenzt. So gab das Finanzministerium auf Anfrage der Grünen an, dass von den 6769 Planstellen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) "rechnerisch 495 Planstellen" unbesetzt sind. Klaus Salzsieder hält seine Behörde personell für gut ausgestattet, gesteht aber zu: „Je mehr Leute Sie haben, desto mehr kontrollieren Sie auch. Wenn Sie auf jeden Beifahrersitz einen Polizisten setzen, haben Sie auch weniger Alkoholdelikte. Es ist eine Frage, was die Gesellschaft will.“

Großrazzia des Zolls auf einer Frankfurter Baustelle (Foto: picture alliance/dpa)
Die Einhaltung des Mindestlohnes überprüft der Zoll im Rahmen seiner Kontrollen gegen Schwarzarbeit.Bild: picture alliance/dpa

Mitverantwortung des Staates

Dietmar Schäfers von der "Gewerkschaft Bauen, Agrar, Umwelt" will mehr Kontrollen. Nur so lasse sich das in der Branche verbreitete Lohn-Dumping eindämmen. Eine Mitverantwortung sieht er jedoch auch beim Staat. "Mich würde mal interessieren, bei wie vielen der ermittelten Fälle der Auftraggeber die öffentliche Hand ist." Da bei der Auftragsvergabe für Bauprojekte von Bund, Ländern und Kommunen oft nur der Preis die entscheidende Rolle spiele, würden Niedriglöhne indirekt provoziert, so Schäfers.

Kritiker bemängeln zudem, dass es keine ausreichenden Sanktionen gegen die Täter gibt. Verstöße gegen branchenspezifische Mindestlöhne sind keine Straftat. Die Bundesregierung schreibt dazu in der Anfrage der Grünen: "Es handelt sich ausschließlich um Bußgeldtatbestände. Strafverfahren und damit Geldstrafen oder Freiheitsstrafen kommen daher nicht in Betracht."