Vieweger: "Das gab es in Jerusalem noch nie"
28. Januar 2013Ein Steinbruch aus der Zeit des Herodes, die Reste Golgathas, Mosaiken aus der Kreuzfahrerkirche St. Maria Latina: Zum ersten Mal entführt ein Archäologiepark unter der Jerusalemer Erlöserkirche die Besucher in die bewegte Vergangenheit der berühmten Stadt. Der Wuppertaler Professor für Biblische Archäologe, Dieter Vieweger, hat den Ende 2012 eröffneten Park mit einem Team aus Wissenschaftlern und Studenten erbaut.
DW: Herr Vieweger, Ihr Archäologiepark macht 2000 Jahre Geschichte in Jerusalem anschaulich – von Herodes über die Kreuzfahrer bis heute. Welches Kapitel finden Sie als Archäologe besonders interessant?
Für mich sind natürlich die ältesten Schichten die interessantesten, die 14 Meter unter der Erlöserkirche liegen. Dort finden wir einen Steinbruch, den Herodes der Große geschaffen hat. Man kann richtig dazwischen herumlaufen und sieht, wie dick die Steine ausgehauen, gesägt und gebrochen wurden. Der Steinbruch diente dazu, östlich von dieser Stelle eine Stadterweiterung zu bauen, die Herodes der Große befohlen hatte. Und bei dieser Gelegenheit ist nicht aller Stein von diesem großen Grund, auf dem sich auch die Erlöserkirche befindet, abgetragen worden. Dieses Gebiet nennt man dann später Golgatha, wo sich die Kreuzigung Jesu abspielte. Gerade in diesem Bereich des Archäologieparks kommt man der christlichen und der jüdischen Geschichte sehr nahe.
Was fasziniert die Besucher besonders an dem Projekt "Durch die Zeiten"?
Wenn sie in die Erlöserkirche kommen und 14 Meter nach unten laufen, dann steht Ihnen vor Augen, dass die obere Stadt Jerusalem mit ihren Stadtmauern aus dem 16. Jahrhundert gar nicht so alt ist. Und dass ein Großteil der Geschichte dieser Stadt, die ja letztlich 4000 Jahre alt ist, in abgelagerten Schichten unter der Erde liegt. Und hier durch die Geschichte zu gehen, macht den Besuchern richtig Spaß, denn es ist etwas ganz Neues. So etwas gab es in Jerusalem noch nie.
War es schwierig, das Projekt bei all den rasanten politischen Entwicklungen und Konflikten zwischen Israelis und Palästinensern zu realisieren?
Neben der archäologischen Frage, wie man unter der Erlöserkirche Grabungen durchführt, ohne das Bauwerk zu gefährden und der Frage der Finanzierung des Archäologieparks gab es vor allem ein Problem, das alle Archäologen in Jersualem haben. Wir dürfen dort eigentlich keine Forschungsgrabungen machen, weil ein Teil der Stadt besetztes Territorium ist. Wir können schon bestehende Grabungen weiterführen, damit sie begehbar sind oder Rettungsgrabungen durchführen, wenn etwa Häuser zusammengestürzt sind. Dann dürfen wir das untersuchen. Und genauso haben wir das auch bei unserem Projekt gemacht. Doch leider konnten wir einige Fragen, denen wir gerne nachgegangen wären, nicht stellen. Wir hätten zum Beispiel gerne gewusst, wie die zweite Nordstadtmauer, die Herodes der Große nur wenige Meter von der Erlöserkirche gebaut hat, aussieht. Da könnten wir tolle Dinge ausgraben, die wir jetzt leider unter der Erde lassen müssen.
Wie stark sind Sie in Ihrer Arbeit persönlich von den Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern betroffen?
Eigentlich ist das Leben dort sicherer als es in den deutschen Medien oft vermittelt wird. Aber natürlich erlebe ich die Aufgeregtheit in den beiden Gesellschaften der Israelis und Palästinenser. In Jerusalem finden immer wieder Demonstrationen statt. Es gibt Zusammenstöße. Da muss ich mich als Ausländer aber zurücknehmen. Natürlich kann ich versuchen, zwischen beiden Seiten zu vermitteln, aber die Konflikte müssen die Menschen vor Ort lösen. Da hilft mir auch der Platz, wo ich wohne, wunderschön auf dem Ölberg gelegen, wo man sich zurückziehen kann. Studenten, die bei den Ausgrabungen helfen und hier für einige Zeit mit mir leben, sind häufig erstaunt, wie ruhig es in unserem Institut auf dem Ölberg ist.
Vor einigen Jahren haben Sie ein Buch mit dem Titel "Streit ums Heilige Land" veröffentlicht, den Sie ja immer wieder hautnah miterleben. Was muss Ihrer Ansicht nach passieren, damit in der Region überhaupt Friede einkehren kann?
Ich denke, Israelis wie Palästinenser müssen ihre großen Forderungen auf etwa zwanzig Prozent zurückschrauben. Wenn beide Seiten nicht aufhören, alles zu beanspruchen, gibt es irgendwann einen großen Knall und der Weltkrieg ist da. Für mich ist die Zwei-Staaten-Lösung daher eine Chance auf Frieden. Sie würde bedeuten, dass jede Partei wirklich für sich selbst sorgen muss und für ihre Klientel und dass jeder mit sich selbst und mit dem, was er beansprucht und laut UN-Recht beanspruchen kann, auch zurechtkommen muss. Zwei separate und souveräne Staaten könnten der Region den Frieden bringen.
Das Gespräch führte Sabine Damaschke.